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In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann ein beispielloser Boom der Selbsthilfebewegung in Deutschland. So könnte es in den Geschichtsbüchern stehen. Doch was passierte wirklich in jenen Jahren – und vor allem – wie weit reichte der Boom in die Bevölkerung hinein?

Der Boom hatte drei Quellen: Die Erste war eine weitgehend neue Emanzipationsbewegung. Viele bisherige Außenseiter, insbesondere aber Homosexuelle, konnten sich zu Anfang der 70er Jahre neu definieren - und mit Ihnen eben auch viel, die von der Psychoanalyse wie auch von der Medizin selbstherrlich behandelt und nicht selten abgewertet wurden. Sie bildeten tatsächlich einige Gruppen, in denen ihr eigenes Wissen die Grundlage für gegenseitiges Verständnis oder (je nach Problemlage) auch Heilungschancen boten.

Ganz allgemein kam eine neue Epoche als zweite Quelle in Frage: Das Stichwort war der „mündige Patient", der eigenverantwortlich zur seelischen, sozialen und körperlichen Gesundheit kommen wollte (oder auch sollte) - und die Gruppe sollte ihm dabei halt geben.

Als dritte Quelle dürfen Personen oder Gruppierungen gelten, die eben diese Ideen auch in die Tat umsetzten. In Deutschland war es vor allem Michael Lukas Moeller, eine vielschichtige Persönlichkeit, die aus ganzen Herzen und doch zum eigenen Ruhm dafür sorgte, dass Selbsthilfe in Deutschland bekannt wurde. Mithilfe einiger weniger Gesinnungsgenossen gründete er 1981 die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen“ und später – mithilfe politischer Freunde – die NAKOS.

Der angebliche Boom allerdings blieb aus. Zwar wurden vereinzelt Selbsthilfegruppen neu gegründet, und die Patientenorganisationen boomten eine Zeit lang, doch die Bewegung schlief nach und nach ein – ihr fehlte eine innere, aus der Bevölkerung kommende Eigendynamik.

So blieb es im Wesentlichen dabei, dass bestehende Organisationen, die ohnehin etabliert waren, gestärkt wurden. Menschen mit psychischen Problemen, die sich von der Bewegung zunächst stark angezogen fühlten, mussten aber bald erkennen, dass sie in ihr kaum Hilfe finden konnten - so blieb ihnen kaum mehr als das, was es vorher auch schon gab - die Anonymen Gruppen, die den Boom unbeschadet überlebt haben.
 

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