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Es gibt italienische Lokale, in denen Ungarn, Rumänen oder Pakistani Gerichte mit italienischen Namen für deutsche oder englische Touristen kochen und es gibt italienische Lokale, in denen Italiener italienische Speisen zubereiten, die auch wie italienische Speisen schmecken und die auch von Italienern gegessen werden.

Gestern war ich in einem solchen Lokal hier in Budapest. Ich habe dennoch auf die typische italienische Speisenfolge und damit auf das erste Hauptgericht verzichtet, sondern habe sogleich von der Vorspeise zum Fisch gewechselt. Der war wirklich hervorragend – kein Vergleich mit dem Gemüse in Fettpampe, die ich in meiner Straße als „italienisch“ vorgesetzt bekomme – und so gesehen, lohnt sich der Mehrpreis. Billiges Budapest? Wenn sie billig und gut essen wollen, müssen sie heutzutage woanders hinfliegen – aber nicht nach Budapest.

Falls sie Tourist sind: Essen sie entweder gleich bei einer der großen Hotelketten oder in einer der Ladenpassagen, zum Beispiel im Mammut oder Westend. Der Rest der Lokale in Budapest bietet wechselnde Qualitäten zu gesalzenen Preisen, und weder eine Empfehlung im Reiseführer noch eine im Gourmet-Führer bieten die geringste Garantie dafür, dass Preis und Qualität stimmen.

Drei Anzeigen werben für die Freizeit in Budapest: Eine Striptease-Bar und zwei Escort-Agenturen. Ich darf ihnen aber versichern, dass es durchaus andere Wege gibt, seine Freizeit in Budapest zu verbringen – an lauschigen Frühlingsabenden vor allem in einem der zahllosen Restaurants und Cafés, in denen draußen serviert wird – danach lechzen ohnehin alle: Endlich wieder draußen sitzen zu können.

Wo feiert man als Engländer seinen Junggesellenabschied? Natürlich in Budapest, wo sonst – Easy Jet macht es möglich, und fast eine Handvoll Veranstalter leben davon: Billigflug nach Budapest, preiswertes Hotel, Sportbar mit englischem Fernsehprogramm und als Höhepunkt vor allem Budapester Stripteasebars. Dort wird das Opfer dann an eine Tanzstange gefesselt und die Tänzerin „hält ihm diverse Körperteile ans Gesicht“, wie die Budapester Zeitung berichtete, doch auch die übrigen Jungs kämen auf ihre Kosten, zumal sie reichlich Geld für Tabledance-Einlagen springen lassen würden.

Dies geschah schon am 23.03.2005

Die Abwicklung am Flughafen Zürich geht im Schneckentempo voran: Da zeigt ein etwas überheblich grinsender Jüngling einer offenbar taufrischen jungen Dame, wie man abfertigt – natürlich nach allen Regeln der Kunst mit sämtlichen Schikanen, die man einem Fluggast nur antun kann: Unter anderem damit, jedes Stück Handgepäck und selbstverständlich jeden Kinderrucksack nachzuwiegen und dabei die Vorschriften im Detail zu erläutern. Die reichliche Zeit, die ich glaubte zu haben, schmolz dahin: Satte 20 Minuten brauchen die jungen Leute, um Ausbildung auf Kosten der Fluggäste zu machen – in dieser Zeit fertigen sie ganze 4 Fluggäste, davon allerdings auch eine Familie mit zwei Kindern ab.

Den nonchalanten jungen Mann, der hier offenbar die Ausbildung leitet, scheint das alles nichts anzugehen: Meine Maschine geht in mittlerweile in 25 Minuten – und ich muss noch dieses abscheulich lange Wanderung zum Terminal „E“ machen, auf den Zug warten, mich durch die Sicherheitskontrolle quälen – doch hier ist man, wie immer, ausgemacht höflich – lediglich eine junge Dame vor mir motzt, weil sie ihre nach Meinung der Sicherheitsbeamten zu piepsigen Stiefel ausziehen soll.

Dem Sicherheitspersonal das höchste Lob – aber der Abfertigung am Schweizer Flughafen Zürich mal wieder einen Tadel – die dort seit Jahren praktizierte Arroganz gehört offensichtlich zum Image des Flughafens – und das soll offenbar so bleiben, denn wenn schon die Ausbilder nichts als ein süffisantes Lächeln und dazu noch einen dummen Spruch haben, wird die nächste Generation von Mitarbeitern auch nicht besser werden.

Einmal passiert ja alles zum ersten Mal, und bei mir war das erste Mal am Samstag in Budapest: ein junger Mann bot mir in der Straßenbahn seinen Platz an. Sie werden sich wundern: Ich habe angenommen. Ob ich inzwischen so erbarmungswürdig aussehe oder ob der junge Mann einfach wollte, dass ich mich zu meiner Frau setzen konnte, weiß ich allerdings immer noch nicht.

„Normalerweise wäre man nach einem solchen Essen so voll wie der Hund vom Fleischer, doch … (diese Mahlzeit) hinterlässt eine feuchte Nase und ein glänzendes Fell“.

Die „Budapester Zeitung“ über ein Currygericht in einem neuen Budapester Restaurant.

Wenn man Flugreisende nach ihren Emotionen fragt, kommt manche Billigluglinie inzwischen besser weg als eine der etablierten Fluggesellschaften. Nach einem Bericht der Schweizer „Sonntagszeitung“ wird insbesondere die Swiss kritisiert: „Die Nachfolgeairline (der Swissair) Swiss hat den Service auf Europastrecken aufs Minimum heruntergefahren. Heute wird Kaffee von miserabler Qualität im seelenlosen Styroporbecher serviert“. Wobei zu erwähnen wäre, dass man diesen Kaffee auch noch bezahlen muss, wenn man Economy fliegt.

Aber es gibt Hoffnung. Deutsche und österreichische Fluglinien haben sich der Strecken angenommen, die von der Swiss nicht mehr bedient werden, und siehe: Dort würde man teilweise besser behandelt, schrieb das Sonntagsblatt, das besonders die Fluggesellschaft „Styrian Spirit“ hervorhebt, die zum Beispiel die Strecke Zürich-Salzburg bedient.

Bei meinem letzten Flug Zürich-Budapest erwies sich die Swiss im Übrigen als kundenfreundlicher als auf den Flügen zuvor. Das war allerdings auch nötig: Ich selbst bin nur Swiss geflogen, weil sie zu dem Termin, den ich brauchte, preiswerter war als die Malev, die ihre Kunden bei meist günstigen Tarifen noch einen guten Service gewährt. Bei ihr gibt es den Kaffee im Übrigen gratis aus richtigen Tassen, und auch über die Qualität kann ich nicht meckern.

Angekündigt ist ein AVRO-Cityliner – eines von diesen etwas angejahrten Flugzeugen der Swiss, die mich immer irgendwie an Sardinenbüchsen erinnern: Sollte der Vordermann auf die Idee kommen, den Sitz nach hinten zu stellen, muss man sich darauf einstellen, mit stark angewinkelten Armen zu lesen, zu essen und zu trinken.

Doch zu meiner Überraschung fliegt man auf der Strecke Zürich-Budapest heute einmal Airbus, und noch etwas ist neu: Freundliche deutsch und englisch sprechende Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen versuchen dem Gast, das Reisen möglichst angenehm zu gestalten. Auch das war nicht immer so: Ich erinnere mich noch deutlich an Swiss-Flugbegleiterinnen, deren Muttersprache Französisch war und die in Englisch oft kaum verständlich machen konnten. Bei so viel Freundlichkeit kann man vielleicht darüber hinwegsehen, dass ein belegtes Brötchen und ein Glas Wein 15 Schweizer Franken kosten, was den Hin- und Rückflug um etwa 20 Euro verteuert. Warum man auf einem Flug, der regulär mit Gebühren gegen 400 Euro kostet, keine kostenlose Mahlzeit servieren kann, bleibt eines der immer währenden Geheimnisse der Swiss.

Eigenartig – obwohl man wegen des Codeshare-Systems ja kaum noch weiß, wer wirklich fliegt, bevorzugen ungarische Geschäftsleute und Touristen die Malev, während Schweizer, Deutsche und Engländer eindeutig die Swiss vorziehen. So ist es auch heute. Man hört kaum ein Wort ungarisch, die meisten Fluggäste unterhalten sich in Deutsch oder Englisch, manche in einem Gemisch aus mehreren Sprachen, und auch das Verhalten scheint anders zu sein als in den Flugzeugen der Malev. Es mag freilich auch am November liegen: Wer jetzt nach Budapest fliegt, hat meist einen anderen Grund, als die Stadt zu genießen oder Verwandte zu besuchen.

Das Paar neben mir zum Beispiel – beide sind kaum über 25. Ist es überhaupt ein Paar? Er redet pausenlos von seinem Geschäft und beschäftigt sich dabei mit seinem Notebook-Computer, sie war sichtlich bemüht, seine Aufmerksamkeit auf ihre Person zu lenken, giert nach Blicken, Berührungen, Zärtlichkeiten. Wenn sie nicht versucht, ihn für sich zu interessieren, sitzt sie da wie in einem indischen Tempel: Die Haltung mädchenhaft, aber fest und kerzengerade, sitzt sie in einer dem Schneidersitz ähnlichen Position auf dem Sessel und starrt mit ihren kühlen Meeresaugen durch die Sitzreihen. Der Mann verweigert sich, lässt sie abblitzen, weist alle Annäherungen zurück. Schließlich fragt sie ihn, warum er so handle. Er fragt zurück, warum sie warum fragen würde. Das veranlasst sie zum Schmollen: Demonstrativ legt sie die Arme vor die Brust und senkt den Kopf tief in die Arme ab. Er lässt sie eine Weile schmollen, deutet vage an, dass es die Zärtlichkeiten vielleicht später gäbe, doch sie scheint ihm zu misstrauen.

Eine Dame jenseits der 50 mit schönem Blondhaar und auf einem Styling Marke jugendlich, zurückhaltend und naturschön blickt häufig zu mir herüber: immer dann, wenn sie das Gebläse nachstellt. Das tut sie oft, denn sie trägt hier an Bord einen Pelzmantel. Natürlich nicht nur einen Pelzmantel, sondern noch entsprechend teure und wärmende Teilchen darunter. Sie hätte in wirklich ausziehen können.

Inzwischen hat der Pilot den Sinkflug eingeleitet. Das junge Paar scheint sich irgendwie arrangiert zu haben. Gut, sie will ihn, und sie will ihn möglichst bald. Aber wird sie ihn bekommen? Und die Dame im Pelz, wer wird auf sie warten? Nein, ich will es nicht wissen. Ich will die Fragmente erhalten, die zufälligen, flickwertartigen Begegnungen. Man vergisst sie sind Leben lang nicht, jene flüchtigen, scheu lächelnden Gesichter: Und so wird man noch nach Jahren eine Geschichte darüber schreiben können, sei sie wahr oder erfunden.

Ich bemerkte ihn sofort, weil er so unauffällig sein wollte: ein Rabbi vielleicht, möglicherweise auch nur ein frommer, konservativer Jude. Hinter einer Säule stehend, beschäftigte er sich lebhaft mit einem Buch. Manchmal wollte es scheinen, als beschäftige sich das Buch mit ihm, dann wieder allerdings wollten beide nichts voneinander wissen: Der schwarzgekleidete Herr sah hinaus, redete lebhaft zu sich selbst, um bald wieder innezuhalten und in eine Art Trance zu versinken.

Das Schicksal wollte, dass die Maschine Budapest-Zürich nicht ganz voll war, und so konnte ich gar nicht anders, als den Rabbi (wenn er denn einer war) zu beobachten, der abermals einen heftigen Anlauf nahm, um in sein Buch hineinzuspringen. Wieder schien es so, als debattiere er heftig mit dem Buch, zuckte mit den Armen, als wolle er das Buch durch Gestikulieren von seiner offenbar abweichenden Meinung überzeugen, griff sich dann wieder an die Schläfen oder strich seinen Bart – und fiel in den Pausen dazwischen wieder in tiefes Nachdenken. Ein wenig schien ihn bisweilen Mr. Bean zu irritieren, denn nach einer erneuten heftigen Attacke auf sein Buch, dem ein noch heftigeres halb innerliches Selbstgespräch folgte, blieben seine Blicke dann doch am Monitor hängen – zu lange, um nicht fasziniert zu sein, aber zu kurz, um sich wirklich ablenken zu lassen.

Ich verließ das Flugzeug nach der Landung schnell, um noch meinen Anschlusszug zu bekommen.

Doch später dann habe ich noch lange an den jüdischen Herrn gedacht – an seinen Kampf mit dem Buch, an seine Versonnenheit und letztendlich daran, dass ich selbst schon lange kein Buch mehr gelesen hatte, das mit mir zu diskutieren anfing.

Da saßen sie in der vielen zu großen Bar, die zudem kaum für sie gemacht war – eine von diesen modernen Neonhöhlen, die wohl im Verlauf der Nacht von der schicken Jugend in der Umgebung von Johannesburg überschwemmt wurden. Der Mann erwies sich als Erzähler, ein Europäer offenbar.

Er erzählte darüber, was er erlebte, und noch mehr über das, was er davon aufschrieb. Die auffällig, aber lieblos geschminkte Dame erwies sich als gute Zuhörerin, nickte, stellte knappe, aber wohlmeinende Zwischenfragen, lächelte, bestätigte.

Sie wirkten unpassend, nicht nur hier, sondern auch einer für den anderen. Sie schienen es zu wissen, doch Afrikas Nächte und der Pinotage, den sie in Mengen genossen, hatten offenbar andere Pläne, und so sahen sie sich lange an – viel zu lange.

Danach drängte die Dame bald zum Aufbruch, doch kurz bevor beide gingen, fasste sie ihren Begleiter fest am Arm: „Versprich mir bitte, nichts über uns zu schreiben“. Der Erzähler nickte kurz. „Versprochen“ sagte er und sah die Dame erneut mit langem, sehnlichen Blick an, doch wusste er eines: Ein Erzähler ist ein Erzähler, weil er nicht anders kann. Und selbstverständlich würde er darüber schreiben.

 

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