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Wir haben lange über Blogs geredet. Auf dem Höhepunkt – ich denke, es war vor mehr als einem Jahr – haben Blogger Qualität verlangt – und wurden deshalb verlacht. Heute haben wir alle Arten von Qualität, nur eines haben wir nicht: irgendeine Bedeutung.

Mit den Jahren kritischer geworden, lese ich mit deutlicher Distanz, dass wieder irgendwo auf der Welt ein Blogger-Kongress stattfindet. Es geht mich wahrlich nicht mehr an, als wenn irgendwo ein Modelleisenbahner-Kongress oder ein Leica-Sammler-Kongress abgehalten würde.

Das Eigenartige an diesem merkwürdigen Medium: Je mehr darüber geredet wird, umso mehr verliert es an Bedeutung. Das geht auch mich persönlich etwas an: Ich, Sehpferd – ich will auf Dauer nicht in die Bedeutungslosigkeit verfallen.

Ab dem nächsten Herbst werde ich ohnehin, sooft es geht, im renovierten Café New York in Budapest sitzen. Sollte ich meinen Laptop dann dabei haben, werde ich wieder etwas mehr schreiben - unter einem neuen Kladdendeckel.

Vorerst aber trete ich einmal auf die Bremse. Es ist nicht unbedingt nötig, mit Vollgas in die Bedeutungslosigkeit zu fahren.

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Bild: Budapest. Giebel des Gebäudes, in dem sich das Café New York befindet. Das Bild entstand im Sommer 2005 während der Renovierungsarbeiten. (C) 2005 Sehpferd

Zu sagen hätte ich wohl etwas gehabt - aber ich bin auch der Gestalter der Zeit, nicht nur ihr Zeuge. Also verbringe ich meine Tage mit anderen Dingen. Meine Leserinnen und Leser mögen es mir verzeihen. Es gibt ein Leben außerhalb der Blogs.

Ihr Sehpferd

Nein, sie haben nicht gefragt, aber die Antworten sind einfach: Mein Open Office (das ich für englische Texte benutze) war abgekracht, und dann stelle sich heraus, dass alle meine Norton-Programme sich nicht mehr aufrufen ließen und mein Direktzugriff zu IBM war auch nicht mehr verfügbar.

Also habe ich zwei Nächte lang gebastelt, um alles wieder Hinzukriegen. So einfach war es nicht: Mein Norton Anti-Virus stammte von der IBM, Norton System Works war selbst erworben. Bis ich alles wieder legal zusammengefieselt hatte, dauerte es eben.

Außerdem bastele ich nach wie vor an meiner Zukunft – und daran, meine Wohnungen zu verkaufen. Der Wegfall der Eigenheimzulage scheint sehr, sehr wenige Menschen zu interessieren.

Das Wort mag es nun das schönste deutsche Wort sein oder nicht, bekommt plötzlich eine neue Bedeutung: Das Kind, dessen leuchtende Augen wegen des Besitzes glänzen, der Arme, stolz auf ein paar Dinge, die ihm aus besseren Zeiten verblieben sind und schließlich auch ich – der sich von fast allem trennt, was er in seinem Leben an Habe erworben hat.

Ich habe noch ein paar Schallplatten, die ich mir mühsam vom Taschengeld abgespart habe. Einstmals habe ich einen Aufsatz darüber geschrieben (ich weiß es noch genau, im Gymnasium, beim ollen Castens), in dem ich mich darüber ausließ, wie schwer mir die Entscheidung fiel, und wir risikoreich sie auch war, weil ich das Geld doch dringend anderweitig brauchte. Der olle Castens gab mir eine Fünf, weil er nicht einsehen wollte, wie schwer mir die Entscheidung fiel – und außerdem hatte ich (wieder einmal) das Thema verfehlt. Die Schallplatte allerdings habe ich noch heute.

Die ersten Möbel – unter anderem ein Bofingers Farmer-Sessel – er liegt zerlegt im Keller, zusammen mit seinem Bruder und zwei Tischchen. Das Bofinger Bett und den Kleiderschrank gab es auch einmal – sogar noch recht lange.

Meine Leidenschaft jener Jahre war HiFi – nicht das HiFi der Schnösel von heute, sondern das alte, ehrliche HiFi. Die Revolution der Lautsprechertechnologie kam damals gerade aus England: kleinere Membrane, weichere Aufhängungen und starke Magnete in kleinen, geschlossenen Boxen. Die Technologie war revolutionär – und der Magersound deutscher Teuerprodukte (der Taunus lässt Grüßen) wurde nach und nach ersetzt. Ich habe sie noch – ein paar Wharfedale Denton.

Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird keines dieser Dinge den Weg in die neue Wohnung finden – sie soll sparsam möbliert werden, nur mit dem, was nötig ist und – und natürlich mit ein ganz klein wenig Kunst.

Die Habseligkeiten verlieren mit den Jahren ihren Glanz – und außer Kunst und wirklich zeitlosen Möbeln kann dies recht schnell gehen. Merkwürdigerweise ist es so – je teurer etwas war, was man „haben musste“, umso schneller verlor es an Wert. Nur die Kleinode und Kuriositäten aus Wien, London oder Paris nehme ich noch gerne in die Hand, ein paar Möbel liebe ich wie am ersten Tag, und sie danken es mir durch gleich bleibende Funktionalität und Schönheit. Ich erinnere mich noch lebhaft, was der Händler sagte, als ich in den 80er Jahren das Lampensystem Yayaho kaufen wollte: es sei ein Mist, habe nicht einmal die VDE, und bei ihm gäbe es so etwas nicht. Doch allen Unkenrufen zum Trotz: Gutes Design setzt sich durch, und noch immer wird mein Wohnzimmer von popeligen 100 Watt vollständig und gleichmäßig beleuchtet – die Schönheit ist nie vergangen, nur die Farbe der Isolation wird blasser.

Der Rest aber verrauscht im wahrsten Sinne des Wortes: Der Rausch der Sinne, der mich umfing, als ich manches Ding erwarb, war nichts als eine momentane Verblendung, ein Rausch des Augenblicks.

Jetzt hängen noch ein paar flüchtige Erinnerungen an diesem oder jenem Gegenstand – und siehe, mit meienr Frau bin ich gerade übereingekommen, dass wir die Bofinger Tischchen ja vielleicht noch als Blumenständer verwenden könnten.

Ich bin so schön ... und niemand will mich. (Gebote unter 700 Euro zwecklos).

sessel

Ich hätte gerne ein wenig von dem geschrieben, was mir so passiert ist beim Anpreisen meiner Wohnungen – aber es könnte den realen Verhandlungen schaden. Vielleicht so viel: Ja, es gibt eine Nachfrage aber nein, schrecklich groß ist sie nicht. Aber ich verspreche Ihnen, ein wenig davon zu schreiben, wenn die Notartemine vorbei sind und alles in trockenen Tüchern ist.

Derzeit bin ich wieder einmal mit meinem persönlichen Glück beschäftigt und knausere deswegen mit Blogeinträgen, und das wird wohl in den nächsten Monaten immer mal wieder der Fall sein.

So, meine Lieben Leserinnen und Leser, es ist Zeit, dass ich mich mal in Ruhe in meinen Großvatersessel* setze, ein Glas Pinotage zu mir nehme und euch dies sage.

Erstens blogge ich nicht

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Ich schreibe hier mein kleines Journal – ja, ich weiß, das habe ich schon oft gesagt, aber es kommen eben auch immer neue Leserinnen und Leser hinzu, also: Ce n’est pas un blog. Mir ist piepschnurzegal, was Bloggerinnen und Blogger denken.

Zweitens schreibe ich nicht, um zu gefallen

Sehen sie, mich interessiert nicht, ob Ihnen gefällt oder nicht gefällt, was ich schreibe. Ich schreibe es einfach, weil ich es sagen kann, will oder (seltener) auch muss. Wenn es ihnen gefällt – gut. Wenn nicht – auch gut. Dies ist kein Abnickjournal und auch kein Damenfangjournal, und verdient wird mit all dem kein Eurocent.

Drittens kritisiere ich, was ich für kritikwürdig halte

Ich gebe zu: Manchmal kritisiere ich ein Blog auch, weil es unter alle Sau ist. Normalerweise aber finde ich die Blogs, die Blogger und die Artikel, die ich bespreche, durchaus der Kritik würdig. Ich würde mir selber schaden, wenn ich ausschließlich über Blogmüll berichten würde.

Viertens bin ich kein Vereinsmeier

Nur, weil diese Veranstaltung hier „Blogs“ heißt, bin ich nicht schon automatisch im Verein. Ich nehme mir heraus, eine freie, unabhängige Meinung zu vertreten, und orientiere mich dabei sehr selten am Medium und seinen Regeln. Ich bin nicht Mitglied in eurem Verein – ich schreibe nur.

Fünftens ist Stillstand Rückschritt

Man kann an einigen prominenten Blogs feststellen, dass sie keinerlei Fortschritte machen – ersparen sie mir die Namen, aber die fünf angeblich bedeutendsten deutschen Blogs gehören wahrscheinlich dazu. Die Mischung von ein ganz viel Technik, ziemlich viel linkem politischen Ballast und ein wenig Erotik hat keine Zukunft mehr. Sehen sie sich einmal um, wie viele andere berühmte Blogs heute entweder geschlossen haben oder jedenfalls Dauerwinterschlaf halten, dann wissen Sie, dass wir Fortschritt brauchen – und Zusammenarbeit. Dergleichen kommt nicht zustande, indem sich die „berühmten“ Bloggerinnen und Blogger ständig gegenseitig hochloben, sondern wenn wir uns endlich überlegen, wie wir effektiver an die breite Öffentlichkeit gehen können.

Also: Prost! Und wenn ihnen das alles zu ernst war: Es kommen im Laufe des Wochenendes auch noch humorvollere Beiträge.


Und ich merke schon mal an:

* Ich bin selbst nicht Großvater, aber der Sessel ist verkäuflich

Was, sie bewohnen ganz allein eine 90-qm-Wohnung? Die Augenbrauen der Gutmenschen gehen sichtbar nach oben, und man merkt schon, dass sich im Hirn schon sämtliche Theorien über soziale Gerechtigkeit aufreihen, die sich nur mühsam als höfliche Sätze durch das Mundwerk quälen.

Bitte schön liebe Familien: Diese Wohnung ist 1948 als große, bürgerliche Wohnung geplant worden, mit einem verbundenen Wohn- und Speisezimmer sowie einem großzügigen Schlafzimmer. Abgeschlossene 12-qm-Kaninchenställe waren damals nicht in Planung - sie gab es dann später, in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus und sie wurden dort als "Kinderzimmer" ausgewiesen.

Jetzt allerdings suche ich einen Käufer. Nicht, weil mir die Wohnung zu groß ist, sondern weil ich längere Zeit ins Ausland gehe. Sehen sie, und nun sehen sich diese Wohnung Menschen mit Kindern an und sagen: „Ach, so hatten wir uns das nicht vorgestellt“. Natürlich nicht. Eine Wohnung von 90 qm, die von einem einzelnen Menschen bewohnt wird, ist nicht unbedingt für eine Familie mit Kindern geeignet.

Alle guten Vorsätze halfen nichts: ich bin wieder beim Gemischtwarenladen angelangt. Dabei wollte ich doch eigentlich nur noch für Europa, für mehr Pragmatismus und für eine neue soziale Ordnung schreiben, was leider heißen würde, auch gegen die Lokalpatrioten, Nationalisten aller Parteien, Linksfantasten, Gutmenschentum und andere Ideologien zu kämpfen.

Aber Europa, Pragmatismus, neue soziale Ordnung? Alles keine Bloggerthemen. Also lasse ich wieder die Seichtheit herein. Die allein bringt Zugriffe. Fragt sich nur, was Zugriffe wert sind.

 

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