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Das wöchentliche Geblubber aus den Algen

Die letzte Woche konfrontierte mich – wie so viele andere Blogger auch – mit der Frage, wie wirklich eigentlich unsere Wirklichkeit ist. Grund war weniger die deutsche „Belle de Jour“, die ja schon vor einiger Zeit bezichtigt wurde, ein Mann zu sein, sondern die Englische Prostituierte „Belle de Jour“.

Man stelle sich das Szenario einmal vor: Da wetteifern drei englische Zeitungen, unter ihnen eine angeblich so ehrbare wie die „Times“, darum, wer die bloggende Londoner Hure „Belle de Jour“ enttarnt, und es war eben jene Times, die den Vogel abschoss – nur lag sie leider falsch.

Womit ich beim Thema wäre. Das Internet erlaubt Millionen von Menschen, falsche Identitäten anzunehmen. Die Londoner Hure kann eine Hure oder eine Journalistin sein, oder auch nur eine begabte ältere Lady, die sich einen Spaß daraus macht, die pseudoprüden englischen Leser am Näschen herumzuführen. Es wird Zeit zu begreifen, dass jeder im Web alles sein kann: alles, wirklich alles.

Die Art, wie die vorgebliche Urheberin von „Belle de Jour“ gefunden wurde, wäre schon beinahe komisch, wenn sie nicht in einer schamlosen Persönlichkeitsverletzung geendet hätte: Eine angebliche „Autorität“ auf dem Gebiet der Textvergleiche wollte durch ein paar merkwürdig gesetzte Zeichen festgestellt haben, dass Belle eine amerikanische Schriftstellerin ist. Was mir eine Zusatzbemerkung entlockt: Wer die Literatur oder die Presse sorgfältig studiert, und dann spektakulär irgendein Blog eröffnet, kann also bewusst darauf hinführen, dass dieses Blog in Wahrheit von (na, sie wissen schon) stammt. Die Wirklichkeit kann hier, im Web, offenbar in jede beliebige Richtung ausgeweitet werden.

Das geht gerade so weiter. Die englische Ex-Jungfrau Rosie Reid existiert, so viel ist sicher. Aber ob die Geschichte stimmt, die durch sie (und allein durch sie) an die Presse gelangt ist, wirklich stimmt, ist eine andere Frage: Es kann sein – oder eben auch nicht. Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Für eine andere Frau ist die Wirklichkeit nun wirklich peinlich geworden: Eine amerikanische Journalistin glaubte, die Verbreitung von scheußlichen Nacktfotos stoppen zu können, die angeblich „heimlich“ von ihr aufgenommen wurde. Sie bekam in einem spektakulären Prozess Recht – allerdings nicht lange. Denn die Fotos wurden keinesfalls „heimlich“ aufgenommen, sondern von der Bühnenkamera – und wer sich bei einer öffentlichen Veranstaltung, bei der Kameras erlaubt sind, peinlich zur Schau stellt, der muss eben auch erlauben, dass diese Bilder dann gezeigt werden, wobei mindestens dies beruhigt: Ist die Wirklichkeit „wirklich“ wirklich, dann darf sie auch öffentlich zu sehen sein.
 

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