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Das wöchentliche Geblubber aus den Algen – fast immer sonntags


Der Papst ist tot. Theresa Marie Schiavo ist tot. Harald Juhnke ist tot. Sie alle verließen die Welt unter Gebrauch von sehr viel Druckerschwärze – zu viel Druckerschwärze, wie ich meine – und vor allem viel zu viel Filmmaterial.

Ich sage es ihnen allen ehrlich und aus vollem Herzen: Ich hätte mir die Interviewpartner der Nachrichtensender auf dem Petersplatz gerne allesamt weggewünscht, samt Dieter Kronzucker, als für den Papst die letzten Stunden nahten. Nein, ich mache keinen Hehl daraus, diesen Papst nicht gemocht zu haben, aber hat nicht jeder Sterbende, wie auch jeder Trauernde, ein Recht auf Ruhe?

Es scheint, als hätte niemand mehr Ruhe. Nicht einmal im Sterben. Es mag ja sein, dass Theresa Marie Schiavo ein Mensch ist, an dem sich die Moralfrage stellt – aber dann darf, soll und muss sie im Familienkreis erörtert werden, und sei ihr Fall auch noch so kontrovers: Privatheit geht vor Öffentlichkeit. Haben wir das schon vergessen?

Über Harald Juhnke will ich nicht lange schreiben. Er ist ein Opfer jenes Medienzeitalters, in dem man jeden Schwachsinn als Unterhaltung verkaufen kann – und es auch eifrig tut, inklusive der Vermarktung eines Alkoholikers als Alkoholiker. Schönes Vorbild für die Jugend.

Ich möchte noch einmal auf den Tod des Papstes zurückkommen. Ich habe schon geschrieben, wie erbärmlich ich das Verhalten gewisser Fernsehsender finde, die bereits Tage vor seinem Tod den ganzen Tag einen Quasi-Nachruf sendeten – offenbar mit Materialien aus dem Vatikan. Doch ich habe etwas sehr oft gehört, nämlich dies: dass dieser Papst ein Vorbild der Jugend gewesen sei.

Was mich dazu verleitet, über Vorbilder nachzudenken. Als ich jung war, konnte sich zum Leidwesen der Vorgängergeneration niemand mehr für den griechischen Geist noch für den schillerschen Jüngling erwärmen (der lustvolle Goethe stand erst gar nicht zur Debatte). Man versuchte uns Albert Schweitzer zu verkaufen, doch der war weit weg, wo wir uns nicht einmal hindenken konnten. Doch wer sollte es sein: der Dalai Lama? Schwester Theresa? Junggesellen und Junggesellinnen als Vorbilder? Machen wir mal halblang: Ich stamme aus einer Generation, in der die Väter und Großväter nur schwerlich Vorbilder sein konnten, weil sie (wenngleich nicht alle, sondern meist nur die „besseren“ Leute) an den Verbrechen der Nazis wenigstens mittelbar beteiligt waren.

Heute soll nun also der Papst Vorbild sein, aber warum?

Weil er, so Herr Kronzucker in einem der geschwätzigen Interviews der letzten Tage, standhaft sei und heute so und morgen eben auch noch so sage, im Gegensatz zu ihren Eltern, wie es hieß, die ihre Meinung ständig wandelten.

Da haben wir den Salat. Eine Jugend ohne Maßstäbe sucht sich die Messlatten dort, wo ganz andere Dimensionen gelten. Statt dem Großvater, dem Vater oder dem Onkel nachzueifern (die Feministinnen unter ihnen dürfen dies durch Großmutter, Mutter und Tante ersetzen), suchen sie sich Vorbilder, die letztlich keine sind – weil sie nicht erreichbar sind. Vielleicht sollten diese Kids ihren Eltern lieber einmal zuhören, von ihren Erfahrungen profitieren und lernen, dass eine starre Haltung schnurstracks in den Abgrund führt?

Unsere Welt verlangt, dass wir um einen festen weltanschaulichen Kern eine flexible Handlungsweise entwickeln – und zwar, damit sich die an sich recht erfolgreiche Art „Mensch“ auch in Zukunft noch behaupten kann. Ideologie, sei sie weltlich oder geistlich, ist das Letzte, was wir gegenwärtig brauchen können – davon haben wir, zumal in Deutschland, schon viel zu viel.

Habe ich zu viel nachgedacht heute – zu viel Nachdenkliches geschrieben? Vielleicht, meine Leser, sollten sie sich alle wieder daran erinnern, dass es ein schöner Tag ist, voller Licht und Frohsinn, ein Tag der Liebe und Freude, des Frohsinns und der Hoffnung - ein Frühlingstag eben.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin einen schönen Sonntag.
 

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