anstoss

  sehpferdvs sehpferds magazin für anstöße und anstößiges
rosinentexte_500_x
Die Welt hat sich gewandelt – aber dies wird von vielen Menschen nicht wahrgenommen, weil sie in eigenen Welten leben, die durch Kommunikation nicht geweitet worden sind. Ein Beispiel ist die Geschlechterrolle.

Mein Jahrgang und einige Jahrgänge danach haben noch eine Erziehung genossen, in der das Frauenbild aus Kirche, Küche und Kinder bestand, gewürzt mit einer Prise Heiligkeit: Am besten, man betet sie an. Hinzu kam, dass man uns lehrte, Frauen seien sexuell zurückhaltend, und nur nach heftiger Belagerung des Dornenreiches mittels Edelmut und Konfekt ließe sich die Schranke überwinden, die damals noch „Schlüpfer“ hieß – ein Vorgang, bei dem man sich zuerst durch Röcke, Unterröcke und andere merkwürdige Kleidungsstücke wühlen musste. Wir lernten, dass Männer eben sehr viel Lust hätten, während Frauen eigentlich eher nie Lust hätten und nur uns zu gefallen überhaupt das Höschen herunterließen.

Wir wir wissen, hat sich das Frauenbild hinsichtlich Kirche, Küche und Kindern seither gewandelt und es hat Epochen gegeben, in denen heftigste Diskussionen über einen Vorgang geführt wurden, der als „Emanzipation“ bekannt wurde. Dieser Prozess hatte ungewöhnliche Auswirkungen – und einen Ausgang, den die Protagonistinnen der Emanzipation sich so eigentlich nicht gedacht hatten: Frauen nämlich, die unter dem geschäftsmäßig-züchtigen Blazer durchaus teure erotische Wäsche tragen, weil sie sich selbst darin gefallen – und Frauen, die mehr oder weniger aggressiv eine Sexualität leben, von der man uns früher gesagt hat, dass sie bei Frauen so gar nicht existiert.

Doch was in der öffentlichen Debatte ausgetragen wurde, ist, durchaus inklusive der Auswirkungen, in den Köpfen der Männer oft nicht angekommen: nämlich, dass es solche Frauen wirklich gibt, dass möglicherweise die Nachbarin eine solche Frau ist – aber dass sie es deswegen nicht als Schild vor der Brust trägt. Bei isoliert lebenden Frauen ist es oft anders: Sie kennen natürlich sich und ihre eigene Sexualität, aber sie glauben eben nicht, dass es vielen anderen Frauen genau so geht.

Mag sein, dass uns ab und an eine öffentliche Diskussion darüber weiter bringen kann, doch wundere ich mich über dies: in so gut wie jeder Frauenzeitschrift kann man in den Zeilen oder zwischen den Zeilen den Hunger der Frauen nach gutem Sex herauslesen. Die Sache ist also nicht neu. Warum aber, soll sie nun in Blogs so neu sein? Was ist es, was Frauen und Männer so magnetisch in die einschlägigen Blogs zieht? Trifft es zu, dass Blogger in Wahrheit Kommunikationskrüppel sind, die alleine in ihren Blogs (und als Kommentatorinnen oder Kommentatoren) einen Ausdruck finden können?

Natürlich muss man nicht alles für bare Münzen nehmen, was in den Sexblogs der Frauen steht – denn alle Blogger neigen dazu, nur dass nach außen zu kehren, was sie als schick darstellen wollen – dies trifft sogar noch auf den einen oder anderen Jammerblog zu. In Wahrheit verschweigen uns die meisten ihre wirklichen Emotionen, ihre Einsamkeiten und ihre Katergefühle – oder sie werden eben wieder so dargestellt, dass man auf lechzende Voyeure und Voyeusen hoffen darf.

Ich, für meinen Teil, lese schon lange kaum noch Sexblogs, es sei denn solche von Sexarbeiterinnen: Diese sind in meinen Augen oft – trotz aller Abstriche, die auch hier zu mache sind – wesentlich ehrlicher als die Blogs gesichtsloser Durchschnittsfrauen, die uns vorgaukeln wollen, dass Geschlechtsverkehr ihr Leben bestimmt.

Wobei mir einfällt: Blogs sind nicht die Realität, sondern bestenfalls eine Realität. Wir täten alle gut daran, diesen Unterschied einmal deutlich ins Auge zu fassen. Die Wirklichkeit entsteht durch Kommunikation – aber natürlich nur dann, wenn man auch vielfältig in die Wirklichkeiten anderer Menschen abzutauchen versteht. Ansonsten entsteht Verwirrung und Manipulation.

Ich denke, wer seine Welt der weiblichen Sexualität aus Blogs bezieht, ist ein armer Mensch, so wie jeder Mensch veramt, der sein Weltbild aus einer einzigen Quelle bezieht.
 

Add to Technorati FavoritesMy Popularity (by popuri.us)

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma