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erzaehlt und wahr

Neulich im Schuhgeschäft (nicht in Deutschland)

"Diese Schuhe halten sicher nicht lange", dachte er laut, als er den Kauf einer Dame betrachtete: High Heels für 10 Euro, nicht einmal schlecht aussehend. Die Dame musste den zu laut vorgetragenen Gedanken gehört haben, drehte sich um und sagte leise und schelmisch: „Das macht nichts, ich trage sie nur im Bett, wissen Sie“.

Für die Erzählungen ist in diesem Blog mein Alter Ego zuständig - Johann Fürchtegott Gramse. Dieser hat gerade wieder in die Tasten gegriffen und einen neuen Beitrag aus der Serie der unerotischen Geschichten abgeliefert. Der Titel: "Männerbeschaffung an der Hotelbar".

Da er von Managern handelt, hier noch der Warnhinweis nach Art der Manager: "Diese Geschichte hat denjenigen Warheitsgehalt, den solche Geschichten üblicherweise zu haben pflegen".

Der Dichter Ernst Theodor Hoffmann gab sich aus Liebe zu Mozart den zusätzlichen Namen „Amadeus“, und seither erscheinen seine Bücher so: „von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann“. Kein Wunder, dass der gelernte Jurist sich Amadeus nannte, der er glaubte, seine Begabung läge allein in der Musik – ein Trugschluss.

Als ich zu schreiben begann, lange, bevor ich etwas veröffentlichte, war der „Nom de Plume“ schnell gefunden: Gramse. Denn in meinem Leben gab es einen Gramse – jenen Deutschlehrer, der alle meine Aufsätze in der Luft zerriss und (soweit ich mich erinnere) selten einen besser als „4“ zensierte. Irgendjemand musste ihm einmal ein Denkmal setzen, und wer könnte sich berufener fühlen als ich?

Eigentlich sollte Gramse Johann Gotthilf heißen, doch als ich gegen 30 Jahre alt war, lernte ich einen widerlichen Choleriker kennen, offenbar Sohn von Beruf, der mir offenbarte, dass alles, was ich tat (nicht nur, was ich schrieb) „schlechter als Scheiße“ wäre. Ihm zu Ehren und ewigen Angedenken übernahm ich einen seiner Vornamen: Fürchtegott.

So wahr, wie ich nicht Sehpferd bin, sondern nur die Verkörperung eines Zeitzeugen im Internet, so bin ich auch nicht Gramse. Jener Gramse nämlich steht plötzlich neben mir und bedient sich fleißig der Goldbronze, die manch bittere Wahrheit übertüncht. Was ich dazu meine?

Er könnte ruhig öfter Blattgold nehmen, dieser Gramse.

Warum ich dies überhaupt schreibe? Damit sie wissen, dass ich nicht Gramse bin, selbst dann, wenn ich es dennoch sein sollte.

Als das Weserwehr noch nach Generatoren roch und kaum ein Kahn über einen eigenen Antrieb verfügte, es aber dafür zwischen den Steinen der Badeanstalt noch Flusskrebse gab, ging der kleine Junge gerne an den Fluss, um die Schiffe zu beobachten: Meist waren es eben jene Schleppkähne, doch hin und wieder gab es durchaus schon einen Passagierdampfer.

Der kleine Junge liebte es, sich an einer Stelle zu postieren, die gegenüber der Schleusenausfahrt an der Unterweser auf der Altstadtseite lag. Teils, weil er in einem Alter war, in dem man noch keine weiten Wege alleine ging, und teils, weil er sich fürchtete, allein über die stählernen Pfade der Brücke zu gehen, die in mehreren Abschnitten über das Wehr und die Schleusen hinüberführte.

Als die Schlepper einmal besonders heftig bugsierten, beobachtete er, dass einer der Schlepper längere Zeit rückwärts fuhr. Er wandte sich an die hinter ihm stehende Gestalt, die sich als ein Herr in mittleren Jahren erwies, und fragte ihn, warum der Schlepper wohl rückwärts fahren würde.

Der Herr indessen hatte offenbar keine große Lust, dem kleinen Jungen etwas zu erklären. Vielleicht dachte er auch an den Krieg, die zerbombte Wohnung oder die Arbeitslosigkeit, aber dergleichen hatte den kleinen Jungen noch nie interessiert. Jedenfalls gab der Herr sich widerborstig und sagte: „Was willst du eigentlich, der Schlepper fährt doch vorwärts“.

In der Tat fuhr der Schlepper nun wieder vorwärts, aber der kleine Junge beharrte darauf, dass der Schlepper doch eben noch rückwärts gefahren sei, und dass er, der Herr, dies doch habe sehen müssen, da er schon lange hinter ihm gestanden hätte.

Der Herr reagierte unwirsch und erklärte lauthals, das könne er ja nun wohl besser beurteilen als ein kleiner Junge, und im Übrigen sage er jetzt zum letzten Mal, dass der Schlepper vorwärts gefahren sei.

Der kleine Junge drehte sich um, sah den Herren verachtungsvoll an und sagte mit fester Stimme: „Und ich sage jetzt zum letzten Mal: Der Schlepper ist rückwärts gefahren“.

Der Herr griff darauf hin zu seinem Spazierstock und murmelte etwas Unverständliches. Doch es war offenkundig, dass er sich über den kleinen Jungen ärgerte.

Der kleine Junge hat diese Geschichte später oft erzählt. Beim ersten Mal war der Mann noch ein „Leut“, und die Geschichte endete mit „und dann hat der Leut sich geärgert“. Ja, und nun erzählt er sie wieder – weil sie so typisch wurde für sein Leben, das zu einem großen Teil darin besteht, das angeblich Selbstverständliche zu bezweifeln.

Als der kleine Junge freilich älter wurde und dann noch etwas älter und schließlich so alt, dass er das alte, nach Eisen, Generatoren und Fischen riechende Weserwehr überlebte, setzte er sich eines Tages mit einem großen Glas Rotwein vor eine weiße Wand und wartete, bis der Schlepper wieder vorbei kam. Doch er sah nur das starre Bild, einer Fotografie gleich, denn der Dampfer wollte sich absolut nicht mehr bewegen.

Bin ich ein „alter Sack“? Möglich. Dann will ich auch eine Geschichte erzählen, die nur „alte Säcke“ erzählen können.

Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr deutlich an eine Zeit, in der man in Deutschland wirklich arm war. Frisches Obst war teuer, und so fuhr mein Vater im Herbst regelmäßig mit dem Fahrrad auf die Apfelchaussee. Nicht, um Äpfel zu pflücken, denn das war verboten – und der Feldschütz wachte eisern darüber. Nein, es ging um Brombeeren, um den Winter über Säfte und Konfitüre zu haben. Meist brachte er doch noch ein paar Äpfel mit – sorgsam unter den Brombeeren versteckt. Häufig brachte er auch noch die begehrten Holunderbeeren, aus denen man einen Saft gegen Fieber kochen konnte.

Ich bin gerade durch eine Gegend, nicht weit von meiner Wohnung gegangen. Die Brombeeren hängen noch an ihren Sträuchern, vertrocknet. Es gab sie dieses Jahr in Massen, doch niemand hat sie gepflückt. Die Apfelbäume hängen prall voll, und die Zwetschgenbäume auch. Noch könnte man sie pflücken, doch wird es niemand tun - das geht nun schon seit Jahren so.

Was ich damit sagen will? Dass es sich die Armen heute offensichtlich leisten können, die Früchte an den Wegesrändern stehen zu lassen.

Ach ja: Fall sie, liebe Leserin oder sie, lieber Leser, meinen, damals sei „alles viel billiger“ gewesen: Ein Pfund Bohnenkaffee, ungemahlen, kostete etwa 12 D-Mark – den Lohn von etwa 10 Stunden Arbeit.

 

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