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presse im blick

Ja, ich weiß - in der Provinz ticken die Uhren anders - aber ich nehme an, dass Journalisten dort dennoch in der Lage sein sollte, verständlich zu schreiben.

Die „Nürtinger Zeitung“ nimmt es leicht: sie titelte „Im Internet wartet Dschungel aus Gefahren“. Auch sonst ist der von HEINZ BÖHLER geschrieben Artikel so schlecht, dass der Daumen nach unten zeigt: Nein, liebe Nürtiger Zeitung, wenn ihr Autor die Zusammenhänge weder begreift noch korrekt beschreiben kann, sollte er lieber gar nicht über „Gummibärchen“ schreiben, sondern eine Tüte mit Gummibärchen kaufen.

Falls einer meiner Leserinnen oder Leser noch einen Koffer in Berlin hat: jetzt wäre es Zeit, ihn abzuholen und einen Besuch bei der VENUS zu machen, aber beeilen müssten sie sich schon, denn die Messe geht nur noch bis zum 24. dieses Monats.

Die deutsche Presse heilt sich bei der Ankündigung der VENUS wie immer, sehr, sehr bedeckt. Während um alle andere großen Branchenmessen ein Mordsaufhebens gemacht wird, wagt kaum einer der prüden deutschen Zeitungsverleger, die Messe im Vorfeld anzukündigen.

Dass die Erotikbranche ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, wird dabei vermutlich mit voller Absicht verkannt. Offiziell, so scheint es, gilt Erotik immer noch als „pfui Teufel“ und die Welt der Erotikmessen als ein Sündenpfuhl.

Es gibt Männer, die darf es einfach gar nicht geben. So wie der, der hier vor Gericht steht, wenn denn bewiesen werden kann, was man ihm vorwirft. Die Berichterstattung ist freilich flapsig, zu effekthascherisch für den Anlass: Nö, liebe WAZ, „Neben Sex hagelte es Schläge in der Ehe“ ist nun wirklich nicht die Überschrift, die wir uns wünschen. Sex hagelt nämlich nicht.

Wer über Sex schreibt, kommt nicht umhin, auch die wachsende Anzahl von triebhaften Sexkonsumenten im Auge zu behalten. Das Thema wurde kürzlich auf der 2. Klinischen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung behandelt – das ist gut so. Wie es teilweise in die Presse kam, ist weniger gut.

Schlecht, wenn man über solche ein Thema nicht schreiben kann, sogar dann, wenn einem eine dpa-Meldung vorliegen sollte. So dichtete ein gewisser „Joe“ vom „Börsenreport“: „Psychotherapeuten wollen in Deutschland eine Häufung von Sexsüchtigen beobachtet haben. Dieses Geheimnis sickerte bei einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung in Münster durch".

Eine Häufung von Sexsüchtigen in Deutschland? Ein Geheimnis? Und es ist wirklich durchgesickert? In diesem Stil plappert der Autor munter weiter, Erkenntnisse seitens der Forscher seinen genau so „schwierig“ zu erhalten wie Bekenntnisse der Süchtigen.

Folgt die Krönung: „Eine wirksame psychotherapeutische Behandlung der Sexsucht dauert nach Angaben des Paar(-a)psychologen mindestens ein Jahr. Ohne eine solche Therapie sei ein Ausweg aus der Abhängigkeit vom unkontrollierten Sexualverhalten kaum zu finden.“

Fragt sich, wo er den Paar(-a)psychologen her hat. Wahrscheinlich wollte er „Paartherapeuten“ schreiben, aber auch dies wäre hier nicht ganz treffend gewesen. (dpa schrieb „Paarpsychologen“, was auch reichlich gewagt ist, aber immerhin verständlich gewesen wäre).

Der Rest dieses Artikels und mehrerer anderer, die professioneller geschrieben sind, geht freilich zulasten der Psychotherapeuten: Sie müssen uns Übrigen noch erklären, was sie unter einem „unkontrollierten“ Sexualverhalten verstehen und wann sie statt „Lust“ das Wort „Abhängigkeit“ gebrauchen wollen. Bliebe hinzuzufügen: Eine „wirksame psychotherapeutische Behandlung“ bei Süchten – von den stofflichen Süchten bis hin zu den Verhaltenssüchten hatte bislang so gut wie keine Aussicht auf Erfolg – es gab sie einfach nicht. Bestenfalls konnte man von „psychologischer Begleitung“ anderer therapeutischer Maßnahmen sprechen.

Steffen Fliegel, der Tagungsleiter, wird in dem dpa-Artikel auch mit der kühnen Behauptung zitiert „die Sucht (sei also) gelernt und nicht angeboren“. Damit dürfte er in ein Wespennest gestoßen sein, dann anderwärts streitet man noch vehement darüber, was Süchte auslöst und wie sie manifest werden. Nun ja. Gegenüber der Presse kann man es sich ja mal einfach machen.

Schließlich machen die Damen und Herren Verbandsmitglieder der „Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung“ noch einen deutschen Kardinalfehler: Obwohl das „freie und übermäßige“ Angebot an Sexseiten und entsprechenden Chats von ihnen bereits als Verursacher deklariert wurde, fehlen ihnen dafür die Beweise. Niemand würde in Deutschland von einem „freien und übermäßigen“ Angebot von Alkohol sprechen, nur, weil es eine beachtliche Zahl von Alkoholikern gibt.

Die Initialzündung für diesen Artikel gab Jim.

Der Schweizer „Blick“ will erfahren haben, dass der kanadische Nachrichtensender, der die so genannten „Nackt-Nachrichten“ vermarktet, nun auch einen Partner in der Schweiz sucht. Billig soll es nicht sein: Ein in Aussicht genommener Schweizer Partnersender klärt derzeit noch ab, ob er sich die Nacktsprecherinnen leisten kann.

Ob sie die Nachrichten auch in Schwyzerdütsch sprechen, ist bislang unbekannt. Das Schweizer Fernsehen hat sich in den letzten Jahren so gut wie ganz von der deutschen Hochsprache abgewandt und sendet ausschließlich im Dialekt der deutschsprachigen Nordschweiz.

Für den Blick war der Bericht immerhin eine gute Gelegenheit, zehn Nacktfotos von den Sprecherinnen auf seiner Webseite zu zeigen.

 

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