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Kunst – da erstarrt das das deutschsprachige Volk vor Ehrfurcht, wenn die Kulturpäpste die Zeilen rütteln. Gerade erst hat man, sehr zögerlich, die Fotografie in den Stand der Kunst erhoben, und geeignete Kritiker für diesen Bereich fehlen, schreibt man vorsichtshalber nichts Negatives, sondern veröffentlicht, was Georg Kreisler schon im „Musikkritiker“ verulkte: „Schubert war ein stierer großer Komponierer … das Buch war sofort ein Riesenerfolg, und es sagten mir viele Herrn: Genial; Großartig; Sie müssen Kritiker wern"!

Doch während die Fotografen der Schönen und Reichen inzwischen in den Galerien hängen, ist ein anderer Typus des Fotografen so gut wie ausgestorben: der Zeitzeuge. Man mag argumentieren, dass auch Man Ray, Annie Leibovitz und Helmut Newton Zeitzeugen waren, muss dann aber ergänzen: Zeugen einer kleinen Schicht der Eliten und Eitlen. Fast keine Marktfrauen, Taxifahrer, Konsumbürger, Nachtschwärmer oder Spaziergänger aus dem Volk. Wäre da nicht Onkel Fritz Foto von der Busfahrt der Belegschaft zur Kohl-und-Pinkel-Fahrt *, niemand wüsste, wie eine Kontoristin anno 1956 gekleidet war, wie sie lächelte und die Beine brav in einer Linie hielt.

Nun besteht das Leben freilich nicht nur aus den Reichen und den zufällig geknipsten Kolleginnen und Kollegen. Es findet auf der Straße, in Hotelhallen, Einkaufszentren und Vergnügungsstätten statt. Dort allerdings fotografiert kaum jemand – außer Straßenfotografen, und dies durchaus auch erotisch. Nein, ich meine nicht diejenigen, die in „einem gegen Einblick besonders geschützten Raum“ fotografieren, wie es in einem neuen Gesetzestext heißt. Ich meine Menschen, die fotografiert werden, wenn sie ihr nacktes Gesicht mitsamt ihren Empfindungen in die Öffentlichkeit tragen. Wer sie indessen ablichtet, zumal in Deutschland, schrammt dauernd am Rande des Gesetzes vorbei: Das Recht am eigenen Bild kann privat eingeklagt werden.

Was werden spätere Generationen einmal wissen von dieser Zeit? Vermutlich nicht viel. Noch leben Zeitzeugen, die das“ Dritte Reich“, den zweiten Weltkrieg, die Trizone und die Anfänge der Bundesrepublik kennen. Werden sie gefragt, was sie erlebt haben in jenen Zeiten? Manchmal. Zu selten. Genau genommen fast nie.

Das führt dazu, dass wir uns kein Bild machen können von dem, was war. Es ist eben Geschichte. Buchwissen, Herrschaftswissen. Wir sind gar nicht gefragt, die Zeitzeugen, die noch von Kälte, Hunger und Adenauer-Staat berichten könnten. Die nachfolgende Generation will es ohnehin nicht wissen – sie ist gegenwärtig ausschließlich mit sich selbst beschäftigt.

Doch was, wenn spätere Generationen einmal fragen werden, wie denn das Leben Anno 2004 ausgesehen haben mag – was werden sie finden? Geschriebene oder fotografierte Zeitzeugnisse? Eventuell gar hier? Vielleicht hier. Aber dann müssten wir alle sehr viel verändern. Auch hier.

* für Nicht-Bremer = Betriebsausflug zu Lokalen, in denen zu Jahresbeginn Grünkohl mit Grützwurst angeboten wird.
 

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