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Inzwischen werden meine Leser vermutlich die Nase voll haben von immer neuen Berichten über Jessica Cutler zu lesen, so dass es Zeit wird, die Sache einmal zu analysieren. Da ist zunächst eine Frau, deren Fehler zu sein scheint, dass sie von Herren Geld nimmt. Sie ist nun weder die erste noch die einzige Frau, die sich für ihre Dates bezahlen lässt, und es ist weder eine Erfindung des letzten Jahrzehnts noch ist es generell unmoralisch. Im Allgemeinen schreit die öffentliche Moral nur auf, wenn Frauen es notorisch tun: Doch das tat sie nicht. Sie besserte ihr Gehalt damit auf.

In den 50er Jahren, als die deutsche Welt von Wohlanständigkeit und Prüderie nur so quietschte, war dergleichen bereits nicht unüblich: Sekretärinnen, Krankenschwestern und auch Hausfrauen führten nach außen das Leben der Binderfrauen, erlaubten sich aber „gewisse Kontakte“, die sie mit dem versorgten, was man so braucht: Auslandsreisen, Schmuck, Kleider, Dessous, Parfüms – alle jene Dinge, die damals eben schweineteuer waren. Offiziell nahm keine von ihnen Bargeld, aber man ließ gelegentlich ein paar Scheine liegen, um den Interessenausgleich sicher zu stellen.

Der Unterschied zu heute? In der Sache existiert kaum einer. Die Herren haben ähnliche Bedürfnisse, die im Prinzip auf die gleichen Hindernisse treffen wie früher. Sie lassen sich aber dann und wann mit einer Kombination von Charme, Geschenken und Bargeld überwinden. Wer glaubt, dass Bargeld allein reicht, wird wohl an das Josephine-Baker-Gesetz erinnert werden müssen: „Auf deine Art kostet es das doppelte“* Der einzige Unterschied zu früher, den ich erkennen kann ist dieser: Früher konnte man sich als Mann auf die Diskretion dieser Art von Frauen verlassen – sie hatten selbst eine Interesse daran, dass ihre Nebentätigkeiten nicht publik wurden.

Die öffentliche Empörung ist deshalb kaum zu verstehen: Unverschämt ist, eine erwachsene Frau danach zu fragen, ob ihre Mutter von dieser Art von Leben weiß. Was bitte, geht eine Mutter das Sexualleben einer erwachsenen Tochter an? Ich meine: Gar nichts.

Natürlich ist dies nicht die ganze Analyse: Aufgrund der Affäre fällt viel Licht auf das Verhältnis zwischen Bloggern und anderen Journalisten: Freund ist man sich nach wie vor nicht, aber man klaut voneinander, wo man kann.

· In „Don’t’ touch my tomatoes“
 

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