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„Das neue Etikett mit den fließenden Farbverläufen symbolisiert die Genusskomponente und Sinnlichkeit der Marke“. Die Rede ist von einem Likör. Von BAILEYS®.

Drei Wochen lang haben sich zwei finnische Journalisten im Auftrag des Helsingin Sanomat als Internet-Detektive versucht: sie wollten herausfinden, ob die Selbstzensur in moderierten finnischen Internet-Foren und Chats tatsächlich funktioniert.

Dabei wurde in Foren und Chats, die üblicherweise von Minderjährigen besucht werden, Geld für sexuelle Dienstleistungen offeriert. In den meisten Foren konnten die Anzeigen mehrere Tage, manchmal sogar für Wochen, stehen bleiben: Die Moderatoren der Foren rührten sich, wenn überhaupt, nur halbherzig. Erstaunlich: Bei einem Forum, das sich ausdrücklich an Erwachsende wendet, wurden die Anzeigen schneller eliminiert als in typischen Teenager-Foren.

Als problematisch erwiesen sich die Chatboxen: Auch hier wurden ähnliche unsittliche Pseudo-Angebote veröffentlicht, die bei einem Anbieter sogar aus dem „Log“ entfernt wurden – das galt aber immer nur für die „öffentliche“ Seite. Privatchats wurden nie moderiert, gleich, welchen Inhalts die Diskussion war.

Ein Resümee geben die beiden Journalistinnen Pauliina Grönholm and Riikka Talli nicht, doch wird aus dem Artikel deutlich, dass beide von den Betreibern großen Teils enttäuscht sind. Nachgefragt haben sie nicht, und so bliebt unklar, warum bei einem Betreiber sofort gelöscht wurde, bei einem anderen aber nicht, denn auch dies steht fest: es ist leichter, einen Sack voll Flöhe zu hüten als den Kindergarten eines großen Chats zu beaufsichtigen.

„Wir vereinigen nicht abstrakte Gebilde, wir bringen Menschen zusammen. Es gibt nichts Schöneres, als Menschen zusammenbringen zu können“.

Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker aus dieser Quelle.

Am Vorabend des Beitritts von 10 neuen Mitgliedern zur Europäischen Union werden viele Sonntagsreden gehalten werden. Unterstellen wir, dass sie gut gemeint sind, doch bleiben sie inhaltslos, wenn wir nicht dem Gedanken folgen, dass wir mit Europa vor allem Menschen und Kulturen vereinigen.

Erst, wenn Menschen wirklich zusammen kommen, wenn sie Handels-, Kultur- und nicht zuletzt auch Lebensbeziehungen miteinander eingehen, wird Europa zusammenwachsen. Wer da argumentiert, „Europa sei nichts als ein Hort der Wirtschaftsmacht“, der möge sich bitte vergegenwärtigen, dass auch der Handel von Menschen angestoßen und durchgeführt wird – und auch sie müssen sich erst verstehen lernen, bevor sie Handel miteinander treiben.

Die Kultur hat noch eine wichtige Schranke: Die Sprachenvielfalt, die am deutlichsten in der Literatur zu Tage tritt. Doch so wichtig Bücher auch sein mögen: die Literaten überschätzen sich nur allzu gerne. Wir haben Musik, Malerei, Architektur und vieles mehr, das nicht in Buchstaben, sondern universellen Zeichen steht.

Wer schreibt, wird sich überlegen müssen, ob er neben seiner Muttersprache auch in Englisch schreiben sollte: Schon heute kommen viele literarische Werke, die einen geringen Markwert haben, in Europa schon deswegen nicht an, weil nur wenige Europäer Deutsch sprechen. Ins Ungarische, Finnische oder Dänische wird noch lange nicht jedes Buch übersetzt: Zu wenige Leser, heißt es dann.

Literatur? Natürlich, sie wird weiterhin benötigt. Aber wir müssen sie auch verstehen. Nicht wir Deutschen oder wir Österreicher. Wir Europäer.

 

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