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europa stadt blogs

Stilsicher hat ihren Berlin City Blog eröffnet – und, wie könnte es anders sein in diesen Tagen, mit einem Bericht und zahlreichen Gedanken zur neuen Holocaust-Gedenkstätte.

Nun steht es also da, schweigend, ohne Worte, ohne Hilfestellung, dunkel, nicht greifbar und kalt. Es ist weniger imposant, als gedacht. Und eindrucksvoller, als vermutet.“

Herzlichen Glückwunsch zum gelungenen Start – und bitte mal einen Blick riskieren auf Berlin Retour. Nicht nur heute.

Für alle diejenigen, die sich nicht Tag für Tag mit sich selbst beschäftigen wollen: Sehen sie, liebe Leserinnen und Leser, sie wissen wahrscheinlich, dass sie niemals langweilig werden, wenn sie hier interessante Literatur oder alternativ ein ereignisreiches Liebesleben hervorbringen. Diejenigen aber, die sich schon morgens mit der Katze zwecks Produktion möglichen Contents unterhalten (wozu Katzen selten freiwillig bereits sind) sollte doch in Erwägung ziehen, ein Stadtblog zu eröffnen.

Als ich in meine letzte deutsche Wohnung zog, beobachtete ich die kluge Art, mit der Katzen in meiner kleinen Stadt über die damals noch stark befahrene Basler Straße gingen. Ja, und – sagen sie mal, was machen eigentlich die Katzen in ihrer Stadt?

Bevor sie fragen: Es sind solche mit vier Beinen gemeint.

Manchmal verstehen wir einander schon deswegen nicht, weil uns dauernd Begriffe aus dem englischen Sprachraum um die Ohren gehauen werden. Peer-to-Peer heißt „gleich-zu-gleich“, soziologisch auch „unter Altersgenossen“. Ein Peer-to-Peer-Journalismus wären also Nachrichten von Gleichen an Gleiche. Wenn nun jemand „Blogs“ einfällt, hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.

Die Sache hat einen namhaften Haken: das Medium. Blogs sind frei herumschwirrende Nachrichtenträger, bei denen man sich nur auf eines verlassen kann: dass morgen alles anders ist. Wer qualitativ hoch stehende Nachrichten sucht, will aber, dass morgen alles so ist, wie heute: auf der Wirtschaftsseite die Wirtschaft, im Regionalteil das Regionale, auf den vermischten Seiten das Vermischte. Dies ist einer der Gründe, warum Blogger eher auf konservative Nachrichtenquellen zurückgreifen als sich auf Blogger zu verlassen. Google News bieten hinreichende Informationen, und wer will, kann die Quellen leicht herausfinden. Für Blogs existiert nichts Vergleichbares.

Das wissen wir natürlich längst. Was wir nicht wissen: Peer-to-Peer-Journalismus auf regionaler Ebene (z.B. in Stadtzeitungen und Stadtblogs) funktioniert nicht. Warum, ist ganz einfach: Erstens gibt es zu wenige Bürger, die anderen Bürgern berichten wollen, und zweitens sind sie nicht alle „Peers“, nämlich Gleiche: Dazu fehlt ihnen zumeist die nötige Qualität, die von Amateur wie Profi gleichermaßen verlangt wird: Ordentlich recherchieren, halbwegs brauchbar schreiben und die Sachen auf den Punkt bringen. Ansonsten bleibt nämlich alles unter dem Niveau der Polizeiberichte.

Letztendlich wird nur erfolgreich sein, wer auf genügend „Peers“ zurückgreifen kann, also Menschen, die erstens schreiben können und zweites genügend motiviert sind. Wie man sie auf Dauer bei der Stange halten kann, ist freilich eine andere Frage. Manche Dienste loben Prämien für besonders gute Artikel aus, aber dazu sind auf der anderen Seite eben auch Einnahmen nötig – und die haben Stadtblogs noch lange nicht.

Bei einem anderen Punkt könnte man helfen: Blogger horchen in der Regel auf, wenn man ihnen Themen vorgibt: vom Hundekot über die Würstchenbude bis zum Jugendstil. Und wem gar nichts mehr einfällt: Ein Pissoir kann stilvoll sein - oder eben auch nicht.

Danke, liebe Bloggerfreunde in Deutschland, aber dass es am ersten Mai in Deutschland sehr heiß war, konnten wir alle auch aus dem Wettebericht entnehmen, durch Augenschein feststellen oder am Körperschweiß.

Viel interessanter wäre nun gewesen zu erfahren, ob gestern der Ansturm auf die Eisdielen eingesetzt hat, oder ob man die Besenwirtschaften (ja, die in der Stadt) schon geöffnet hatte oder wenigstens einen Biergarten, wobei sich auch Fotos gut gemacht hätten: Vorzugsweise solche von eisschlotzenden jungen Damen – die sind bei dieser Witterung immer beliebt.

Von den ersten lauen Nächten will ich erst gar nicht reden, und meine Stadblogambitionen muss ich auch mal wieder verschieben – ich bin gerade nicht in Budapest, und anderwärts führe ich kein echtes Stadtblog.

Aber sie dort ... ja, sie ... sie hätten doch gestern die Möglichkeit gehabt, oder?

* schlotzen - Süddeutsch (Badisch, Schwäbisch) für "schlecken".

Gut, sie haben kein Stadblog. Na schön, sie wollen auch keines führen. Aber: Gehen sie auch nie zum Blues? In ihrer Stadt?

Sehpferd sucht sie, die Berichte über die kleinen, versteckten Blueskneipen. Möglichst über diejenigen, die wirklich noch lebendig sind. Möglichst aktuell. Möglichst mit Fotos, und aus jeder europäischen Stadt.

Hier zum Beispiel das Mojo in Kopenhagen / Dänemark

Schreiben sie an sehpferd@sehpferd.com

Heute, am 1. Mai 2005, am ersten Jahrestag der Erweiterung der EU, eröffne ich offiziell das Europa Stadt Blog. Ich weiß, dass ich ein Pionier bin, jemand, der eine störrische Ackerkrume in einen Rosengarten verwandeln will. In Situationen wie dieser erinnere ich mich immer gerne der Worte einer bedeutenden Unternehmerpersönlichkeit, die die seinen jungen Leuten dies mit den auf den Weg gab: erst der Dienst, dann der Verdienst.

Der steinige Acker, den ich vorfinde, erfordert viel Arbeit: Ich, der ich eher als kritischer Geist bekannt bin, muss Überzeugungsarbeit leisten. Ich muss Ihnen allen da draußen sagen: Wenn sie ihre Stadt lieben, dann bloggen sie über diese Stadt, und auch dies: falls sie bereits bloggen, aber andere Themen im Moment interessanter finden: Sehen sie, Meinungen und Befindlichkeiten zerrinnen ihnen zwischen den Finger wie der Sand im Wind: was sie aber über ihre Stadt schreiben, das interessiert auf Dauer.

Ich trinke heute mit Ihnen allen, die sich interessieren oder noch interessieren werden, ein virtuelles Glas Champagner – und ich wünsche Ihnen und natürlich auch mir, dass wir ihn schon einmal auf eine Vielzahl von Städeblogs trinken können, die hier entstehen werden. Ich wende mich sehr bewusst auch an die Lokalredakteurinnen und Lokalredakteure deutscher Zeitungen. Ich weiß, dass für viele von Ihnen eine schwere Zeit ausgebrochen ist, doch kaum jemand kennt ihre Stadt so gut wie Sie – wer oder was sollte sie hindern, ein Blog zu eröffnen?

Ich selber bin in den nächsten Tagen voraussichtlich in Budapest und werde von dort berichten. Ich würd mich freuen, dann einen Waschkorb voll positiver Emails von Ihnen vorzufinden. Sie wissen ja: Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es.

In diesem Sinne danke ich Ihnen schon heute.

Ihr Sehpferd

Nein, sie müssen nicht Jungfrau sein, um morgen mit Europas Stadt Blog zustarten, sie sollten nur dabei sein. Denn morgen ist die offizielle Eröffnung. Einleitende Worte bei sehpferd.de.

Falls sie Wunder erwarten: Stadtblogs sind gegenwärtig noch so rar wie deutsche Erdbeeren im April, aber irgendjemand muss ja wohl mal den Anfang machen: Erst Dienst, dann Verdienst.

Wer sich sonst noch verdient machen will: Falls sie Freude daran haben, ein paar Mal wöchentlich über ihre Stadt zu berichten, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, verwaiste Blogs wieder zu aktivieren. Eröffnen sie ein City Blog über ihre Stadt, und verlinken sie es mit dem Europa City Blog. Es ist völlig gleichgültig, wer ihr Blog hostet, und ob sie eine Freikarte ziehen oder es bezahlen – Hauptsache es hat RSS – und wenn sie aktuelle Fotos hätten, wäre die Sache natürlich ganz ausgezeichnet.

Sehpferd sucht Blogger für City Blogs in Deutschland in: Bremen, Hamburg, Düsseldorf, Leipzig, München und Stuttgart. In Österreich mindestens für Wien. In der Schweiz gerne für Basel, Genf und Zürich. In England für London und Manchester, in Irland für Cork und Dublin, in Schottland für Edinburgh und Glasgow, und in Skandinavien für Helsinki, Kopenhagen, Oslo und Stockholm.

Aus den neuen europäischen Ländern fehlen vor allem Blogger in Prag und Warschau. Ein Tipp: Es ist viel einfacher, aus Touristenstädten zu bloggen als aus den Städten, die Touristen meiden. Mehr Tipps? Ich gebe gerne Auskünfte.

Seit einigen Tagen läuft bereits eine Beta-Version des Europa Stadt Blogs, und ich lade nochmals alle Bloggerinnen und Blogger dazu ein, bei diesem Projekt mitzumachen. Die Aussichten für den Erfolg sind groß: Blogs, die sich mit populären Metropolen beschäftigen, sind noch rar, während das Interesse an den europäischen Großstädten zunimmt.

Das Motto des Stadtblogs ist ja „meine Stadt mit den Augen des Fremden“. Ich lege dabei durchaus eigene Erfahrungen zugrunde: Als ich nach vielen Jahren einmal wieder offenen Auges durch die Stadt meiner Kinderzeit ging, hatte sich nicht nur manches verändert: Ich sah auch einfach manches anders.

Städte, die ich mir (in Deutschland) wirklich wünsche: meine Geburtsstadt Bremen mit ihrer Schönheit, ihrer Gediegenheit und ihren schirmbewehrten Bürgern. Die Stadt Stuttgart mit dem wunderschönen Stadtteil Bad Cannstadt, den schwäbischen Genüssen und den „Staffeln“, die überall hinauf- und herunterführen, die Stadt München mit ihren urigen Bürgern, die den Genuss zu schätzen wissen, den Sommer in Biergärten verbringen und im Winter massenhaft Lodenmäntel tragen.

Wer will, der kann: Bitte eine Email an Sehpferd@Sehpferd.com, - ja, sie geht wieder, die Adresse.

frontiers

Stadtblogs überwinden Grenzen

Wenn sie mal nach Kopenhagen kommen, will ihnen bestimmt jemand die „kleine Meerjungfrau“ zeigen – und wenn sie vorher nicht geglaubt haben, dass sie nicht nur „kleine“ Meerjungfrau heißt, sondern auch sehr klein ist, dann merken sie es spätestens, wenn sie davor stehen – falls sie jemals so nahe herankommen, denn natürlich ist die Meerjungfrau ständig von Touristen belagert.

Aber: Gibt es nicht auch in Ihrer Stadt Meerjungfrauen? Richtige, barbusige Meerjungfrauen? In Helsinki gibt es eine, die in eines der beiden empfehlenswerten Fischlokale lockt.

meri makasiini

Foto: © 2005 by sehpferd. Location: Helsinki (FI)

Zu Hause sein – nun, wo denn eigentlich? In manchem Jahr war ich mehr in Kopenhagen als in irgendeiner anderen Großstadt, dann wieder in Helsinki oder Oslo und nun in Budapest.

Hier in Kopenhagen verziehen sich die Menschen an einem blauen Oktoberabend mal schnell nach Europa. Ich habe viele Bilder mit diesen blauen Stimmungen, die in genau der gleichen Weise entstanden sind. Auch aus Oslo habe ich einige mitgebracht.

europa kopenhagen

Photo: © 2005 by sehpferd. Location: Kopenhagen, Dänemark.

 

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