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zeit geschehen

Wer nicht in der Bundesrepublik, nicht in der DDR und nicht im Deutschen Reich geboren wurde, wie ich, sondern in der amerikanischen Enklave der britischen Besatzungszone, wird es immer schwer haben, ganz Deutscher zu sein. Aber darum geht es nicht, sondern darum, jetzt endlich wieder zu beginnen

- Eigenverantwortung zu lernen oder wiederzugewinnen
- Gemeinschaftlich zu handeln für unser Land uns für Europa
- Die Belange der Stadt, des Landes und der Republik als „seine“ zu erkennen

Könnten wir nicht wenigstens dies als gemeinsame Grundlage anerkennen? Auch wenn ich hier, wie ich erwarte, von den Webextremisten verhöhnt werde: Auch ich bin Deutschland – aber ich bin darüber hinaus Europa, was noch bei weitem lohnender ist. Dennoch mache ich mit bei der Kampagne – „Du bist Deutschland“ – auch, wenn meine österreichischen, schweizer und andere deutschsprachige Leser davon natürlich recht wenig haben. Aber für sie bliebt ja noch, was ich sonst zu schreiben habe.

kampagne

Mit dem Logo soll auch eines ausgedrückt werden: Man muss den Blog-Ohnemichels deutliche Zeichen geben. Egoist zu sein und zu sagen "IHR - NICHT ICH" bedeutet auch, sich von der Gemeinschaft gelöst zu haben. Der Anspruch, zu sozialen Fragen Stellung zu beziehen, wird dadurch fragwürdig.

Ein britischer Kolumnist will festgestellt haben, dass die Deutschen ein deutliches Zeichen gegen den „Neoliberalismus“ gesetzt haben. Na schön. Nichts dagegen, wenn jemand die kommunistische französische Presse liest und dort abschreibt.

Freilich wären ein paar politische Kenntnisse des Briten über Deutschland nicht schädlich gewesen. „It is an extraordinary achievement and means that for the first time since the second world war the Social Democrats are faced with a rival party to their left”.

Also gut – es gab keine KPD, keine DKP und keine DFU, von den anderen Parteien einmal abgesehen, die sich “links” nannten, und die Grünen der vergangenen Jahre gab es auch nicht, die sich gerne extremsozialistisch darstellte – bis sie erkannte, dass ihre Wähler deutlich älter und mindestens zum Teil weiser wurden.

Aber davon will ich gar nicht sprechen, sondern von den so genannten Wahlanalytiker, die immer das als Fazit der Wahl annehmen, was ihnen ihre Ideologie schon vorher zu glauben befohlen hat: Dass nämlich die dicken Schlagworte wie „Globalisierung“ und „Neoliberal“ die Wahl bestimmt hätten. Klar, dass dies die extremen Kämpfer auf der Seite der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Linksphantasten in den Blogs behaupten – aber ist es real?

Wer wissen will, warum die Wahl so ausgegangen ist, fragt besser die junge Frau, die im nächsten Jahr gemeinsam mit ihrem Partner ein Heim bauen will: Sie hat errechnet, was sie eine Mehrwertsteuererhöhung von 2 Prozent kosten würde. Andere haben gar nicht erst gerechnet, sonder das Kreuz in dem Bewusstsein nicht bei der CDU gemacht, dass ihnen jede Steuererhöhung schaden würde. Für andere Parteien gilt dies in ähnlicher Weise: Besonders gut verdienende Angestellte, Vermieter und Kleingewerbetreibende fanden ihre faulen Eier im Nest von Rot und Grün, während die FDP wegen des unklaren sozialen Konzepts angezweifelt wurde.

Was sagt die Putzfrau? Sie bringt es auf den Punkt, wie es nur einfache Leute können: bei jeder Partei, so sagt sie, sei irgend etwas gut und irgend etwas schlecht – deswegen hätten sich die Leute nicht klar entschieden. Sie wollten eben ein bisschen von allem. Wie im Supermarkt.

Klar ist diese Sicht nicht besonders fundiert. Aber dies kann ich ihnen allen versprechen: „Globalisierung“ sagt den Leuten nichts, nicht einmal, dass sie dadurch ihre T-Shirts billiger kaufen können, und „Neoliberalismus“ halten sie für ein Kulturphänomen – und die Linkspartei? „Ach, die wo der Lafontaine jetzt ist“. Soweit zur Wahl „gegen dem Neoliberalismus“ - und soweit das Lesen im Kaffesatz - nur, dass ich noch ein bisschen dort herumhöre, wo tatssächliche Leute tasächlichen Kaffe trinken.

Fast wortgleich veröffentlicht auf meiner anderen Seite.

Der Abgesang der Wahlblogs ging sehr friedlich vonstatten – sozusagen friedhofsfriedlich, denn in den Blogs ist es nicht anders als bei den Wahlplakaten: Ein paar bleiben immer hängen. Der Rest hat die Nase voll.

Kein Wunder. Das einzig Positive, was ich von Wahlblogs zu berichten weiß, ist die Konzentration vieler Meinungen an wenigen Plätzen im Web. Ich konnte nicht umhin, mir anzusehen wie Leute die Weblogs vollschmierten, deren Leserbriefe jeder Redakteur mit Recht in den Papierkorb geworfen hätte.

Manche der Kommentatoren, die dort schrieben, erinnerten mich leibhaftig an die verwirrten Menschen, die auf Märkten und in Einkaufspassagen lauthals Parolen vor sich hinblubbern. Offenbar hatten geschickte Wahlkampfmanager auch ein paar U-Boote ausgeschickt, die Blogs mal ein bisschen aufmischen sollten – ich selbst habe einen WASG-Mann gefunden, der solches tat. Da Blogger offenbar verschwörungstheorieempfänglich sind, wurde ich selbst des U-Boot-Daseins verdächtigt: so ziemlich das Dümmste, was man mir unterstellen kann.

Blogger – echt öffentlich, echt geil. „echte veröffentlichte Meinung von Privat Personen“, schrieb mir ein Kommentator. Na und? Was soll ich mit diesen „echten“ Meinungen? Ist der Kommentator meiner Zeitung nicht wesentlich kompetenter als die Leute, die kommentierend über Blogs herfallen? Selbst mein ehemaliger Friseur Franz war da kompetenter: Er konnte zuhören. Blogger können es oft nicht.

Was bleibt? Ein paar gute Artikel, ein paar gute Kommentare, hier und da ein Seelenverwandter. Und die Erkenntnis, dass man mit viel Lebenserfahrung und guten Presserzeugnissen weiter kommt als damit, stundenlang Blogs zu lesen. „Echt veröffentlichte Meinung von Privatpersonen – geil was?“ reicht mir eben nicht.

Die Wahl ist vorbei, und ich habe mir erst einmal jegliches Nachkarteln in den Wahlblogs versagt - und es meinen Kommentatoren ebenso nahe gelegt.

Wenn Sie wissen wollen, wer nach meiner Meinung

- die zehn Verlierer oder
- die zehn Gewinner

waren, und welche

zehn Chancen nach der Wahl

ich nun sehe, dann müssen Sie in das Wahlblog wechseln. Es ist ziemlich verwaist, aber kommentiert wird noch immer.

Ich wurde zwar nicht gefragt, als es darum ging, Autorinnen und Autoren für dieses neue Magazin aus Blogschokolade und Bloghintersinn zu finden – aber darauf kommt es nicht an: Die Damen und Herren, die es erfunden haben, sind ohne Zweifel auf einem guten Weg: Blogs, ein bisschen anspruchsvoller als die Masse, bunt zusammengemischt und recht nett serviert.

Wenn es so weitergeht, werde ich meine schlechte Meinung über die deutschsprachige Bloggerei vielleicht gar noch revidieren.

Die Wahl? Sie wollen wirklich wissen, was ich von dieser Wahl halte?

Nun, es ist eine Wahl, in der es zu viele Verlierer gibt: Im Grunde genommen hat die CDU diese Wahl mit Pauken und Trompeten verloren, und wer eine Wahl verliert, die man mit etwas mehr Geschick hätte gewinnen können, der muss sich fragen lassen, ob man nicht die Führungsmannschaft auswechseln sollte – allen voran Frau Merkel.

Verloren hat aber auch ein Bundeskanzler, der sich und sein Land am Wahlabend lächerlich gemacht hat. Ich erinnere mich noch genau, womit dieser Herr Schröder einst angetreten ist, und ich weiß (offenbar im Gegensatz zu ihm selber) auch noch, warum er die Vertrauensfrage gestellt hat. Wer so versagt, verdient den Posten des Regierungschefs nicht – von seiner unsäglichen Arroganz am Wahlabend mal ganz abgesehen.

Schlimmer noch: Verloren haben wir, die Wähler, und mit uns hat das Ansehen Deutschlands in der Welt gelitten. Hätten wir uns klar und unmissverständlich entschieden – wir wären einen großen Schritt nach vorne gegangen. Weil wir aber kleinlich im Stillstand verharrten, muss nun auch Europa leiden, denn die Europäer hätten sich nichts mehr gewünscht als ein starkes Deutschland, das im Zug der europäischen Wirtschaft die Lokomotive spielt.

Nun kann ich es ja sagen: Ich war am Sonntag Gast der offiziellen Wahlparty der Deutschen Botschaft in Budapest – und ich kann Ihnen verraten, dass man dort genau so überrascht über das Ergebnis der Wahl war wie in Deutschland selbst.

Wie überall im Ausland hätte man sich auch in Budapest ein eindeutigeres Abschneiden einer Parteiengruppe gewünscht. Gleich, welcher Partei die Gäste angehörten, war man einhellig der Meinung, dass dieses Ergebnis nicht sonderlich ruhmreich für Deutschland war – und in Budapest geht es nun mal, wie überall sonst im Ausland auch, um das Ansehen Deutschlands, das nun wieder einen kleinen Kratzer mehr hat.

Ich würde mir wünschen, dass dies auch die Inlanddeutschen einmal begreifen würden: Wenn es um unser Land, um unsere Politik und um unsere Wirtschaft geht, müssen wir neben der Sympathie für eine politische Richtung vor allem Deutschlands Ansehen im Auge behalten: Doch im Wahlkampf, und leider sogar noch am Wahlsonntag, machten viele Politiker nicht den Eindruck, als ob dies ihr Hauptanliegen wäre. Doch dazu später und anderwärts mehr.

Meine Frau ist ohnehin Wahlgewinnerin: Sie kam mit ihrer Wahlprognose dem Hochrechnungsergebnis der Tagesschau von 20 Uhr am nächsten und gewann den begehrten Preis der Lufthansa gegen all die Menschen, die sich für politisch weitsichtig hielten – also auch gegen mich – denn ich hatte fest mit einem Wahlsieg von Schwarz-Gelb gerechnet.

Die extremistische Feministin Tiina Rosenberg, die gerade jetzt Furore in der Presse wegen ihrer Haltung zur Ehe machte hat eine Mitstreiterin verloren: Gründungsmitglied Susanne Linde, 50, verließ die Feministische Initiative (FI) nach einem heftigen und von persönlichen Kontroversen geprägtem Streit. Schon letzte Woche war Ebba Witt-Brattström aus der Initiative ausgestiegen, wobei ihr Frau Rosenberg nachgerufen haben soll: „Frauen, die mit Männern schlafen, sind Verräterinnen ihres Geschlechts“.

Schwedisches Wikipedia über die FI

Interview (auf Deutsch) mit Tiina Rosenberg, akustisch - natürlich versuchte sie dort, einen besseren Eindruck zu machen.

Wenn man verschiedene Pressemeldungen von heute glaube kann, die auf Aussagen der Agentur Reuters basieren oder die kritische und aus sicherer Distanz treffsicher abgegebene Prognose der NZZ liest, dann sieht es so aus, als ob sich die Kanzlerkandidatin von CDU und CSU, Angela Merkel, nach und nach wieder von Herrn Kirchhof distanziert, den sie gewissermaßen wie das Kaninchen aus dem Hut geholt hatte, als sie sah, dass der Platz des Schattenfinanzministers intern nicht zu besetzen war.

Als ich am 6. September fragte, ob Herr Kirchhof der Pferdfuß im Wunschkabinett Merkel wäre, erntete ich noch nichts als Häme – vor allem stellten Kommentatoren einen Zusammenhang mit Herrn Eichel her. Das Resultat waren die blogüblichen Hickhackargumentationen, die letztendlich alle an der Kernfrage „ist Paul Kirchhof für die Union tragbar?“ vorbeigingen.

Das Amt des Finanzministers ließe sich mit einem vorzüglichen Fachmann aus den Reihen der CDU besetzen: Friedrich Merz. Wie es scheint, buhlt die Kanzlerin in Wartestellung nun wieder um diesen Mann, den sie vor Monaten derartig düpiert hatte, dass er all seine Parteiämter hinwarf. Man darf gespannt sein, ob Angela Merkel wenigstens dieses Mal richtig handelt – viele Fehler kann sie sich nicht mehr leisten.

Wie so viele andere Deutsche auch, war ich bislang noch unentschlossen, wem ich bei der Bundestagswahl meine Stimme geben sollte. Doch gestern Abend habe ich mich plötzlich erinnert, warum wie eigentlich wählen - und da habe ich mich gefragt: "Warum sollte ich eigentlich die SPD wählen"?

Falls Sie es lesen - erwarten sie gar nicht erst etwas Parteipolitisches.

 

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