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Das Feuilleton von „Berlin Online“ bringt einen bemerkenswerten Bericht über die Flutkatastrophe – nein, nicht über die Aktuelle, sondern über jene von Lissabon am 1. November 1755. Die Wellen waren nicht so hoch (bis zu 22 Fuß sagen die Chronisten), aber der Sensationshunger war ebenso stark ausgeprägt. Der Kolumnist Matthias Georgi schreibt:

Später, als die wichtigsten Informationen schon lange bekannt waren, publizierte die Presse immer neue Berichte von Überlebenden. Dabei kamen Adlige genauso zu Wort wie Händler oder Diener. Alles, was als authentisch angesehen wurde, druckten die Zeitungen ab, auch wenn es nichts Neues erbrachte ... über zehn Wochen hinweg blieb das Beben Thema Nummer eins in den Londoner Medien“.

Katastrophen als Medienereignisse. Man versucht, die Zahl der Toten zu ermitteln, man eröffnet Spendenkonten, man schreibt und schreibt und schreibt. Wird uns dadurch irgendetwas deutlicher? Nein. Wir wissen nun, wie die zerstörten Regionen aussehen, zu Wasser, zu Lande und aus der Luft. Nützt uns das? Nein.

Die Flut hat Kinder zu Waisen gemacht – diese Tatsache wird selten erwähnt. Ich denke dies: Die Straßen werden bald wieder gebaut sein, die Häuser in Kürze wieder errichtet – Erwachsene haben überall auf der Welt ein Talent, sich mit wenig Außenhilfe schnell wieder selbst zu helfen. Aber die Waisen?

Sehen sie, von den Waisen ist fast gar keine Rede. Vielleicht noch von jenen, deren Eltern die Wellen ins Meer gerissen haben. Aber für die Kinder ist es gleichgültig, ob es die Welle war, die ihnen ihre Eltern entrissen hat, oder – AIDS.

Die FAZ berichtet vor kurzem:

Bis 12,3 Millionen der Aidswaisen leben laut Unicef derzeit in Afrika südlich der Sahara. Und die Zahl wird dort nach Schätzungen des Kinderhilfswerks bis zum Jahr 2010 auf 18,4 Millionen steigen. Die Daten zeugten von einer „schreienden Ungerechtigkeit”, sagte der Chef des Aidsprogramms der UN, Peter Piot“.

Man könnte zynisch darüber werden: Kommt ein Naturdrama, öffnen sich plötzlich die Geldbörsen. Aber Menschheitsdramen gehen der Bevölkerung (mit Verlaub) am Arsch vorbei: Oder glauben sie etwa, dass Meenschen ihre Geldbörsen nennenswert aufknöpfen, um 12 Millionen Aids-Waisen sinnvoll zu helfen? Dabei ist der Betrag, der dazu nötig wäre, nicht einmal besonders hoch: Patenschaften gibt es ab 30 Euro monatlich, und man weiß sogar noch, wo das Geld bleibt, das man gespendet hat.
 

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