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Das wöchentliche Geblubber aus den Algen – fast immer sonntags

Das erste, was sie vom Jazz erfahren, wenn sie sich niemals damit beschäftigt haben, ist, dass er eine „improvisierte Musik“ ist. Für den Fall, dass sie gute Jazzliteratur lesen oder Musiker kennen, wird diese Meinung schnell relativiert: Man komponiert, man arrangiert, und man lässt den Musikern dennoch Raum für Improvisationen. Das gemeinsame Improvisieren beruht vor allem darauf, in einen musikalischen Dialog einzutreten – das war im so genannten „New Orleans Jazz“ nicht anders als im modernen Jazz, beispielsweise bei den heftigen. Oft kontroversen Dialogen zwischen Charles Mingus und Eric Dolphy. Ganz generell aber kann mann sagen: Der musikalische Erfolg einer Band beruht auf der Fähigkeit, Disziplin, Geist, Emotionen und selbstverständlich das musikalische Können zu vereinigen, so, dass mehr daraus entsteht, als jeder Einzelne tun könnte.

Ich bin gerade auf eine Diskussion gestoßen, in der Blogs mit Jazz verglichen werden. Generell ist die Bloggerin oder der Blogger, wie ich sie oder ihn heute erlebe, eine Person, die hinter einem Bildschirm sitzt und absolut an die Welt abgeben will, was sie für richtig hält. Nicht wenige glauben dabei, bereits Jesus Christus ersetzen zu können und verkünden das neue Evangelium der Kommunikation. Die Idee von einem „sozialen Medium“ geistert ja immer wieder durch die Bloggerei – doch kann ich nicht viel davon erkennen. Es geht nicht darum, ob die Heidi mit dem Heiner verbal herumschmust, oder ob die Anni mit der Betti Sprechblasen austauscht, sonder darum, dass aus diesen Dialogen ein Zuwachs entsteht, ein Gewinn an intellektueller, emotionaler oder sozialer Kraft, wenn es hoch kommt. Natürlich kann es auch einfach eine Erweiterung des Horizonts sein – was ich manchen Bloggern ohnehin empfehlen würde. Doch davon merke ich sehr, sehr wenig. Sollte ich einen Beweis dafür brauchen, muss ich mir nur die Kommentare in den meisten Wahlblogs ansehen.

Gegenwärtig erhalte ich dieses Blog mit Mühe. Wenn man längere Zeit bloggt, entsteht eine Anspruchshaltung der Leserinnen und Leser, die ich mitnichten bereit bin, zu erfüllen. Manche haben dies lange vor mir erkannt und ihre Artikel reduziert, andere haben ganz aufgegeben. Gegenwärtig schreibe ich hauptsächlich für meine Nachtfalter-Seite – die ist wenigstens völlig banal. Ich bemerke deutlich: Immer, wenn es tatsächlich ernst wird, wenn Alltagsprobleme oder wirkliche Zeitprobleme angesprochen werden, sinkt die Popularität rapide. Man will den witzigen Bonvivant, um sich selber glauben zu machen, dass irgendjemand dauernd witzig und ein Bonvivant ist.

Die Politik? Am nächsten Wochenende ist Wahl – und da ist vor allem eines wichtig: Hinzugehen. Alles andere sollte man der Gewissensentscheidung des Wählers überlassen – und für mich hat sich noch diese Erkenntnis ergeben: Die Tagespresse hatte abermals die Nase weit vorn, wenn es um die Hintergründe der Wahl 2005 ging – die Blogs hinkten weit hinterher, weil die Insider sich nicht zu den Hintergründen äußerten, sondern beinahe ausschließlich Propaganda für das eigene Lager betrieben.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.
 

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