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kult und kultur

Es ist natürlich schon alles gesagt. Na klar, aber noch nicht vom jeden, noch nicht in jeder Zeitung und noch nicht zum zwölften Mal. Man muss wirklich nicht mit prophetischen Gaben gesegnet sein, um dies zu prognostizieren:

- Die Lehrer werden stets sagen, es läge nicht an ihnen
- Wenn sie weiter ausholen, werden sie sagen, es läge auch nicht an Eltern und Schülern
- Die rückwärtsorientierten Lehrer werden die deutsche heilige Kuh, das dreigliedrige Schulsystem, schützen – es darf gar nicht falsch sein
- Die Elternvertreter werden sagen, es läge weder an ihnen noch an den Schülern.
- Die Schüler werden sagen, an ihnen könne es schon gar nicht liegen
- Die Landespolitiker werden sagen, es könne nicht am Föderalismus liegen
- Alle, die sagen, dass es nicht an ihnen liegt, und nicht Politiker sind, werden sagen, dass es an der Politik liegt.

Es könnte freilich auch daran liegen, dass Lehrer, Eltern und Schüler seit Jahren weggucken, wenn es Probleme gibt und darauf warten, dass morgen Manna vom Himmel fällt.

Als ich mich vor über 43 Jahren für Jazz zu interessieren begann, da war ich ein Revolutionär in der brodelnden Masse einer unverstandenen Jugend, der mit ganz wenigen alten Knochen („Swingheinis“) eine Gruppe von Abweichlern bildete, die in einem denkwürdigen Buch als „Parasiten des Jazzkellers“ bezeichnet wurde.

Nachdem es revolutionär war, sich für Jazz zu interessieren, wurde es elitär, und schon etwa fünfzehn Jahre später war die Generation der ersten deutschen Nachkriegsjazzer schon über Vierzig und hockte mit Kind und Kegel beim Jazz im Cannstatter Kurgarten: man hatte sich das Leben eher konservativ eingerichtet.

Damals, also vor 43 Jahren und noch früher, war Jazz für junge Deutsche meist nur eine Ideologie, die zufälligerweise auch aus Musik bestand. Sehe ich mir heute bereinigt an, so bleibt der Klang der Sehnsucht, der sich mit der Stimme von Billie Holiday oder dem Saxofonspiel von John Coltrane tief in die Seele eingefressen hat.

Und auch der Schauer bleibt. Jener Schauer, der mir heute noch dort über den Rücken läuft, wo Jazz mehr als Musik ist – nämlich das Zeugnis einer bewegten Zeit.

From „Strange Fruit“ Abel Meeropol (1903-1986)

„Southern trees bear strange fruit,
Blood on the leaves and blood at the root,
Black bodies swinging in the southern breeze,
Strange fruit hanging from the poplar trees”


(Thanks to Lyrics Freak)

Dem Blog der schwäbischen Zeitung verdanken wir, dass sich der Urheber der deutschen Bildungsmisere nun endlich geoutet hat. Es ist die Redaktion von SZOn-Blog.

Die Damen und Herrn vom Blog übernahmen die Verantwortung freilich erst, als eine der üblichen Stellungnahmen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die Redaktion der Zeitung erreichte. Dort heiß es: „Niemand sollte jetzt auf die Idee kommen, die Schuld bei Lehrern, Eltern oder Schülern zu suchen". Nein, die Schuld nicht. Aber die Ursache.

Bei jeder Aufführung des Theaterstücks „The Graduate“ (Die Reifeprüfung) stellen sich Kritiker, Publikum und Moralisten die bange Frage: Wird Mrs. Robinson nun ihr Handtuch ganz fallen lassen oder nicht?

Die neue Mrs. Robinson, Irene MacDougall, hat bereits verlauten lassen, dass sie in der gegenwärtig im schottischen Edinburgh geprobten Produktion das Handtuch fallen lassen würde: Die Szene sei freilich nicht sehr hell ausgeleuchtet und sie sei nicht lange in diesem Zustand zu sehen.

Doch wie stets wird es durchaus diese Szene sein, die tausende von Schotten ins Theater treiben wird. Den Wind, den die Presse um die Szene macht, hält die Schauspielerin für übertrieben – aber natürlich weiß auch sie, dass viele Zuschauer gerade wegen dieser Szene kommen: nicht nur wegen der Nacktheit, aber eben auch.

Nun hat sie also den Nobelpreis für Literatur bekommen, die Frau Jelinek, die stets in Deutschland ein bisschen beliebter war als in ihrer Heimat Österreich.

Verdient sie ihn? Ein bisschen. Was sie produziert, ist im Grunde genommen eine Nischenliteratur: In Wahrheit interessieren ihre Themen nur diejenigen, die sich immer hart am Zeitgeist (oder an der Kritik desselben, was letztlich keinen Unterschied bedeutet) entlangschleichen. Frau Jelinek ist, wenn man so will, die Dokumentatorin einer schicken feministischen Linkselite, aber sie will es nicht sein. Was sie wirklich will, wird nur sie selbst wissen.

Und dafür gleich einen Nobelpreis? Jemand, der sie lobte, sagte einmal sie sei eine „Erzählerin von höchstem Raffinement und Können“. Er hat sicher recht. Wir brauchen Erzähler(innen) mit Raffinement -Können setzte ich voraus. Es ist nur neu, dass es dafür bereits Nobelpreise gibt.

Vielleicht, so sollte man argumentieren, verdient sie den Preis ja einfach, weil die Österreicher sie so schlecht gemacht haben in all den Jahren. Der Vatikan, der neuerdings wie es scheint auch etwas zur Literatur zu sagen weiß, hat gleich behauptet, die Frau Jelinek betreibe einen „absoluten Nihilismus“. Das tut sie natürlich nicht. Sie ist eine fanatische Moralistin. Was mich an ihr stört? Ihre einseitige, scheuklappenbehaftete Getriebenheit. Ich mag keine Fans. Auch keine Moralfans.

Es gibt sie noch, die großen Deutschen – wenn man dieser Webseite trauen mag. Da ich von Natur aus misstrauisch gegen Jubelwerbung bin, tue ich es lieber nicht. Unter „Pop und Rock“ lese ich viele neue Namen, aber auch Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Nena und Reinhard Mey – Letzterer fördert das Musik-Export-Projekt wohl. Als deutsche Klassiker fanden die Herren Bach und Beethoven Eingang in die „Hall of Fame“ (Verzeihung: Die Ruhmeshalle), und bei Schlager fand ich Bert Kämpfert, Lale Andersen und Udo Jürgens.

Sollte ich jetzt sagen: ein bunt zusammengewürfelter Haufen von teils zweifelhafter Bedeutung? Da würde ich den Herren Bach und Beethoven zweifellos unrecht tun, aber die sind ja schon länger tot und würden mir vielleicht deswegen verzeihen.

Ach, ich wüsste noch ein paar: der deutschtümelnde Bully Buhlan, die ehemals als Jugendidol aufgebaute „saubere“ Cornelia Froboess, der Heimatschnulzensänger Freddy Quinn, der Fließbandproduzent und Ex-Jazzer Hans Last ... fast alle vom brennend heißen Würstchenstand, also sehr erfolgreich, aber mit schwacher kultureller Bedeutung. Aber ist das beim Rest der versammelten Mannschaft wirklich so anders? Rock ist nicht einfach Kultur, nur weil es Rock ist.

Deutschjazzer spielen beim Deutschexport, wie es scheint, auch keine Rolle, selbst dann nicht, wenn sie Erfolg haben: Nein, Klaus Doldinger ist nicht dabei.

Kiki de Montparnasse, bürgerlich Alice Prin, lebte und arbeitete in Paris – in „ihrem“ Paris. Sie wird gerne als Malermodell, Schauspielerin und Sängerin beschrieben, doch gelebt hat sie von ihrer Fähigkeit, Männer zu faszinieren – darunter berühmte Namen wie Hemingway, Kisling, Foujita, Cocteau und nicht zuletzt Man Ray. Vor allem letzterer verhalf ihr zu ewigem Ruhm: Seine Bilder von Kiki, unter ihnen die berühmten Solarisationen, werden heute noch in jedem Plakatshop gehandelt.

Von Kindheit an gewohnt, die einfachen Dinge auch einfach zu sehen, lebte sie in den Tag: Was sie brauche, so sagte sie, seien ein paar Zwiebeln, Brot und Rotwein – und sie würde jeden Tag jemanden finden, der ihr das bieten könne. Kein Wunder: Ihre Schule des Lebens war das Leben – die Schule der Bürgerkinder hat sie ganze zwei Jahre besucht.

Die Faszination, die von ihr ausging, ist durch Fotos kaum zu erklären: Man Ray hat sie in seinen berühmten Bildern immer etwas idealisiert - doch auf den eher etwas privaten Bildern sehen wir eine leicht ordinär wirkende Frau, die man kaum als Schönheit ansehen würde.

Nur wenige wissen, dass sie auch selbst gemalt hat: Naive Malerei, würde man wohl sagen. Kiki ist als Malerin und als Modell in dieser Galerie zu sehen.

Viel mehr Informationen und vor allem zahllose Fotos aus ihrem Leben und dem Leben der Künstlerkolonie in Paris sind in diesem Buch zu finden.

Sie wohnte nicht weit von meinem gegenwärtigen Wohnort: Von hier ist es ein Katzensprung nach Steinen. Aber eigentlich gilt sie als Baslerin, Schweizerin, Weltbürgerin: Meret Oppenheim. Am bekanntesten wurde sie durch die Tasse und Untertasse mit Pelzbesatz, am schönsten ist sie auf einem Foto von Man Ray, und in der Stadt Steinen ist sie seit Jahrzehnten ein Zankapfel.

Mal Hand aufs Herz – wer kennt Meret Oppenheim?

Wer sie kennt, mag vielleicht meine Frage beantworten: Wie beurteilen meine Leser die Bedeutung von Künstlerinnen und Künstlern, die eher ein bescheidenes Lebenswerk hinerließen, aber große Bedeutung für ihre Zeit hatten?

Ich bin auf diese Frage anlässlich meines Beitrags über Yoko Ono gekommen.

Die Seite, auf die ich verweise, ist etwas lokalpatriotisch, aber Steinen ist ja nun auch eine sehr kleine Stadt. Als Hintergrundinformation muss man noch wissen, dass dort vor einiger Zeit ein ekelhafter Provinzlerstreit um Frau Oppenheim tobte – so dumm, volkstümelnd und letztendlich deutsch, dass man sich schämen muss, in der Region um Steinen zu leben. Ich habe (am Rande) davon geschrieben.

Yoko Ono gerät gerade in die Schlagzeilen der britischen Presse: Der Grund ist eine Arbeit zum Thema „Meine Mutter war so schön“. Dabei zeigt die 71-jährige Künstlerin den nackten weiblichen Schoß ebenso sowie schöne, frauliche Brüste.

Zu sehen ist es überall in der Stadt Liverpool, vor allem aber auf dem „John Lennon Flughafen“. Dumm fragenden Journalisten verpasst sie schon mal die richtige Antwort. „Wer ist die Frau auf dem Bild?“ fragte sie ein britischer Berichterstatter, und Yoko antwortete: „Es ist deine Mutter“.

Diese Antwort hatte Chris Brown von der Daily Post nun allerdings nicht erwartet. Er muckt denn auch auf, dass „der Preis für die Publicity (für Liverpool) für manche viel zu hoch sei“. Na denn – nackte Brüste müssen ja schrecklich gefährlich sein.

Neulich habe ich einmal sehr intensiv zugehört – als es um Gymnasien ging. Genauer gesagt, um den Mathematik-, Physik- und Chemieunterricht an denselben. Ich darf zunächst versichern, dass alle anwesenden tätige Experten waren (außer mir).

Verblüffend: Es gibt offenbar keine Menschen mehr, die naturwissenschaftliche Fächer unterrichten wollen. Man müsse, so die Aussage, sie nun von überall holen: Menschen ohne pädagogische Ausbildung, oft solche, die anderwärts gescheitert seien. Nichts gegen das Scheitern – jeder verdient eine zweite Chance. Aber warum, bitte, sorgen Staat und Gesellschaft nicht wenigstens dafür, dass unsere Schulen die besten Voraussetzungen für zukünftige Naturwissenschaftler und Ingenieure schaffen? Davon lebt Deutschland schließlich.

Szenenwechsel: Eine etwas ältere Diskussion, Gymnasiallehrer. Norbert Wiener? Unbekannt Konrad Zuse? Unbekannt. Kybernetik? Unbekannt. Sogar Paul Watzlawick war weitgehend unbekannt, doch dann erinnerte sich jemand, dass der doch dieses witzige „positive Ermunterungsbuch“ geschrieben hat. Ja, hat er. Aber eben auch „Menschliche Kommunikation“.

Wird das Gymnasium eine Vergeistigungsschule? Ach ja, wir sind ja das „Volk der Dichter und Denker“. Die sehen wir dann nach dem Absolvieren des humanistischen Gymnasiums und eines ausgedehnten Studiums als Taxifahrer wieder. Nein, nicht alle – aber viel zu viele.

 

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