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kult und kultur

Die Welt kennt Mozart meist als Kugel. Manche wissen auch, dass er dauernd an irgendetwas herumkomponiert hat, mal was für Fürsten und Grafen und mal, damit sich Bürger und Pöbel amüsieren konnten.

Ob das am 16. Juli 1782 im Burgtheater zu Wien erstmals aufgeführte Singspiel „Entführung aus dem Serail“ zur einen oder anderen Kategorie gehört, ist umstritten, jedenfalls war das Publikum damals begeistert: eine Türkenoper! Na, so etwas!

Nun wird das Singspiel, das sich inzwischen Oper nennt, wieder aufgeführt: In Berlin, und das als Serail bezeichnete Frauenhaus ist nichts als ein Puff. Das Publikum murrt, weil ihm die Bildungsbürgerlaune vergällt wird: alles ist nicht wie gewohnt, und dann diese Sex-Szenen - einfach abstoßend. Fragt die „BZ“: und wer zahlt für diese Sauerei?

Aber zitieren wir doch lieber den Diplom-Informatiker (Informatiker reichte der BZ offenbar nicht) Klaus-Peter Schröder, der mit seiner Familie in der Oper war. Der hatte nämlich seinem lieben Sohn, dem 14-jährigen Gregor, zur Jugendweihe einen Besuch in der Oper geschenkt, und nun fragt sich der Mann, wo denn die Zensur bleibt. Das wörtliche Zitat will ich nachreichen: „Im Kino gibt es eine freiwillige Selbstkontrolle, wieso auch nicht im Theater?"

Auch ein 66-jähriger Daimler-Chrysler-Mitarbeiter tönte laut. Sein Name ist Matthias Kleinert, und er ist laut BZ Berater des Vorstandsvorsitzenden von Daimler-Chrysler, Jürgen Schrempp. Ebene jener Herr Kleinert meinte, er wolle den Vorstand von Daimler-Chrysler nun bitten, seine (er sagte: unsere, aber na ja) finanzielle Förderung der Komischen Oper zu überprüfen." Was da zu „überprüfen“ ist, sind popelige 20.000 Euro. Was man nicht alles sagt, wenn man sich geärgert hat. Manchmal ist es halt besser, man schweigt. Zumal, wenn man von der BZ gefragt wird. Ist das klar, Herr Kleinert? Offenbar nicht.

Sollte ich noch etwas zu Mozart sagen? Eigentlich nicht. Irgendwann kommen auch Opern mal in die Jahre, und dann wird es einfach Zeit für eine Parodie.

Der "New Scotsman" scheint auch fleißig BZ zu lesen:

"The modern interpretation of the classic work, funded by German taxpayers, has failed to impress Germany’s cultural elite". Fragt sich nur, ob Leute wie Herr Kleinert zu den kulturellen Eliten zählen.

Ray Charles! The Great Ray Charles! The Genius! Gibt es dieser Ankündigung noch etwas hinzuzufügen? Ja, sehr viel. Erstens, dass er dieser Tage, 73-jährig, gestorben ist. Zweitens, dass er jetzt, in so gut wie allen Nachrufen, als Vorzeigeobjekt benutzt wird – du kannst schwarz, blind und elternlos sein und dennoch Karriere machen. Drittens, wie man einen Künstler heute sieht: Er gewann Grammys, zwölf an der Zahl. Die meisten zu Zeiten, an denen selbst ich noch ein sehr junger Mann war: Zwischen 1960 und 1966.

Den Jazzfans war er immer suspekt. Ein Mann, der schlecht Saxophon spielte und viel zu viel sang, und dazu noch begleiten von seinem Engelschor, dachten sie, könne kein guter Jazzmusiker sein. Freilich, denn das war er auch nicht. Er war ein Mann des Blues, jemand, der ihn nicht nur in die großen Städte hinein schrie, sondern in die ganze Welt.

Ja, er hat etwas neues erfunden, das heute oft in den Hintergrund gerät: Ray Charles erkannte als einer der ersten, dass die Inbrunst des Evangeliums und der Art, wie die schwarzen Gemeinden es zelebrierten, etwas mit Erotik gemeinsam hatten, und er wagte den Stilbruch: Blues, Sex und Gospel – das zusammen müsste die Mischung geben, die sein Publikum zum Schäumen brachte.: „What'd I Say“ wurde zum Sinnbild orgiastischer Musik.

Freilich war derselbe Mann auch Entertainer, amerikanischer Medienstar und Schnulzensänger: „Georgia on My Mind“ ist eine Schnulze, doch wie er dieses Schlagerliedchen gesungen hat - das macht im keiner der Lebenden nach.

Was von ihm bleiben wird? Bestimmt nicht sein Saxofonspiel, kaum seine wenigen Ausflüge in den Jazz. Eher schon der Blues, besonders die erotischen, ekstatischen Blues, die er mit den Rayletts vor Publikum gesungen hat, und ein paar all-amerikanische Schnulzen.

Wenn ich in den großen Städten unterwegs bin, habe ich meine Augen immer an den prächtigen Frontseiten alter Gebäude. Ab und an gibt es dann auch etwas Findelerotik, so wie hier in Budapest.

findelerotik budapest

(c) 2004 by sehpferd

Der Dokumentarfilm Fahrenheit 9/11 hat die goldene Palme in Cannes gewonnen. Wie der Präsident der Jury, Quentin Tarantino, gesagt haben soll, habe die Auszeichnung nicht mit den politischen Inhalten des Filmes zu tun. Sie wurde vielmehr für die großartige filmische Leistung vergeben.

Regisseur Michael Moore dankte vor allem den „Darstellern“, Herrn Bush, Herrn Cheney, Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld.

Sage noch einer, Deutsche hätten keinen Humor: Wie ein Sprecher der Jury am heutigen Dienstag in Bamberg verkündete, wird der diesjährige Jacob-Grimme Preis an den 80-jährigen Loriot vergeben.

Die Person hinter „Loriot“, der Zeichner, Autor, Schauspieler und Regisseur Vicco von Bülow, hat in den vergangenen Jahrzehnten Deutschland einen neuen, feinen, tiefgründigen Humor geschenkt. Die Grundlage dazu lieferte ihm die 1967 zuerst ausgestrahlte Sendung „Cartoon – eine Sendung quer durch den gezeichneten Humor“, die er zunächst nur moderierte, dann aber zu einer eigenständigen humoristischen Show ausbaute. Viele Zuschauer trauten ihren Augen nicht, als Loriot als erster im deutschen Fernsehen im Rahmen von Cartoon nackte Menschen zeigte.

Der Preis wird an Menschen verliehen, die sich um die Weiterentwicklung und Pflege des Deutschen als Kultursprache hervorgetan haben. Dass ein Humorist eine solche Auszeichnung empfängt, ist freilich nicht die Regel, und auch dies nicht: Dass die Sprachschöpfungen eines Karikaturisten einmal in die Hochsprache eingehen würde. Oder wie Loriot sagen würde: „Das ist fein beobachtet“.

Seine gesammelten Werke gib es bei Amazon.

Der Begriff „Jugendstil“ hat einen Geburtsfehler: Er hat weder etwas mit Jugend noch mit Stil zu tun: Es handelte sich vielmehr um eine künstlerische und handwerkliche Erneuerungsbewegung, von der einzelne Beispiele in der Zeitschrift „Jugend“ zu sehen waren: Bekannt geworden sind aus dieser Zeit vor allem die Anzeigen für deutschen Sekt.

In Wien wurde der Stil der Sezessionsstil genannt – dies hat sich in Österreich und Ungarn bis heute erhalten. In Finnland hieß er „Nationalromantischer Stil“ und die Glasgowians nannten ihn schlicht „Glasgow Style“. Warum er trotz vieler „Stile“ kein Stil wurde? Weil er nicht einheitlich war. Da war einerseits der florale, verspielte und bisweilen sehr erotische Jugendstil, der in einer Flut von Jugendstilkitsch endete, während auf der anderen Seite trutzige Bauten standen, die eher an Burgen erinnerten: Man kann sie in Helsinki bewundern. Die Glasgower Schule um die „Glasgow Four“ gingen einen ganz anderen Weg: Sie kreuzten schlichteste Formen, etwa Quadrate, mit wenigen floralen Elementen.

Die Franzosen und Engländer nennen die neue, efrischende Tendenz „Art Nouveau“, die "neue" Kunst eben. Sie waren die einzigen die Recht behielten: Ein Stil war es nicht, und die Sozialromantik verschwand im finnischen Baustil genau so schnell wie die Kunst der Glasgowians aus Schottland. Das Gute freilich überstand den Wandel des Geschmacks: Möbel nach dem Vorbild der Jugendstilarchitekten werden noch Wiener und Glasgower Vorbildern noch heute hergestellt.

Jazzsängerinnen waren einst schwarz, schwermütig und drogenabhängig, und als das so war, sangen sie durchdringend und liebevoll von der Liebe und vom Schmerz, und Mama sagte, man solle das Katzengejaule doch bitte leiser stellen.

Dann kam die Musikindustrie und brauchte Produkte für den neuen Massenmarkt der gehobenen Popmusik, bei der Mama schon mal Tränen in die Augen steigen: Diana Krall, Sängerin, Pianistin und vor allem blond und gut aussehend, ist dabei am besten weggekommen: Sie ist ein Star, und jetzt hat sie eine neue CD: The Girl in the Other Room (erscheint am 27.04.2004).

Erinnert sich noch jemand an den armen Doktor Jekyll, der doch nur Gutes tun wollte und deshalb ein Elixier fand, dass das Gute vom Bösen trennen konnte? Das Buch faszinierte Millionen von Menschen, die sich bewusst waren, dass auch in ihrer Brust (ach) zwei Seelen hausten, und sie erkannte, dass der Seelenmix den Charakter ausmacht: Trennt, ihr Menschen, bitte nicht das Gute vom Bösen, ihr richtet nichts als Unheil an. So oder ähnlich lautet die Botschaft.

Irgendwann wurde ich anlässlich eines Besuchs in meiner Heimatstadt und meines Geburtstages, eingeladen, das Musical Jekyll and Hyde zu besuchen. Es ist lange her, doch an etwas erinnere ich mich genau: die Faszination der jungen Frauen, als sich Jekyll in Hyde verwandelte. (Es war eine beachtliche Leistung des Schauspielers und Sängers und brachte ihm viel Applaus). Offenbar fanden die Frauen den brutalen Mr. Hyde erotisch anziehender als den braven Dr. Jekyll. Etwas daraus hören kann man hier - ich habe mal die Wiener Aufnahme gewählt.

Warum ich all dies schreibe? Weil wieder jemand nach einer Droge lechzt, die „richtig“ und „falsch“ unterscheiden kann. Er wünscht sich, damit „die Lüge“ von „der Wahrheit“ sicher und klar zu unterscheiden. Na dann viel Erfolg.

Die Lebensgeschichte des Charles Lutwidge Dodgson ist oft erzählt worden: Er war ein begnadeter Schriftsteller, Fotograf und Mathematiker, und mit der erstgenannten Tätigkeit kam er zu ewigen Weltruhm: sein Hauptwerk kennt jedes Kind. Doch gab es auch immer einen Schatten in seinem Leben: die Liebe zu minderjährigen Mädchen, nie offensiv, aber immer deutlich.

Was die Familie Lidell aber wirklich bewog, dem Lehrbeauftragten des „Christ Church College“ den Umgang mit den Töchtern zu verbieten, wird immer im Dunkel der Geschichte bleiben – denn die Betroffene, Alice Price Liddell, die spätere Alice Hargreaves, nahm das Ereignis mit ins Grab. Mehr über die merkwürdige Affäre steht im Wiesbadener Kurier.

Wie es sich so ergab, habe ich mich einmal mit Illusionisten beschäftig, und siehe – auf ihren Plakaten werden junge, schöne Frauen zerstochen, zersägt und enthauptet - alles Illusionen, selbstverständlich.

Ich erinnerte mich dann an die Filme der fünfziger Jahre, in denen Urwaldschönheiten verschleppt, gefoltert und vor allem gefesselt wurden – in „Skandalfilmen“ wie zum Beispiel „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“. Anderwärts mussten Mühlen, Gefängnisse und Burgen dafür herhalten, nach dem Knarren der Tür Schreckliches zutage zu fördern: Einer hieß „Die Mühle der versteinerten Frauen“. Solche Filme liefen in der so genannten Nachtvorstellung. Ziel all dieser Filme war, möglichst viele schöne Frauen zu zeigen, deren Verhüllungen den Zensurgesetzen gerade noch standhielten, und natürlich – möglichst gefesselt, geschlagen oder geschändet. In den meisten dieser B-Movies, wie sie wohl hießen, überlebte die schöne blonde Jungfrau trotz aller Leiden, während die verruchte schwarzhaarige Teufelin geopfert wurde.

Die schlechten Mädchen fielen auch den Jenseitigen, Monstern und tierischen Mutanten zum Opfer und landeten mal zwischen den Zähnen von Krokodilen, mal als Grillgut am kannibalischen Herd und mal mit einem spitzen Ast im Herzen auf dem Friedhof. Vor allem die Szenen der letzteren Gattung waren beliebt, und keinesfalls waren alle nur „B-Movies“.

Dracula hieß das Stichwort, Bathory das Beiwort. Die Heldin musste ungeschützten Verkehr mit den Zähnen des Herrn Grafen ertragen, am freigelegten weißen Hals. Waren sie infiziert, so musste der gute Doktor leider den Holzpfahl ins Herz rammen, und das macht sich am weitaus Besten, wenn große Brüste wogen. Die ersten Rollenwechsel tauchten auf: Die blutige Gräfin Bathory wurde das Vorbild aller blutigen lesbischen Vampire – und ihre Nachfolgerinnen zeigten vor allem eins: erhebliche Mengen Tomatensaft, der aus nicht vorhandenen Stichwunden auf nackte Brüste tropfte.

Gewalt und Pornografie? Als die Begierde noch Begierde war, und den Jungen die Finger zitterten, wenn sie ihrer Freundin erstmals den BH öffneten, waren Sex und Gewalt in Wort und Bild beinahe noch so märchenhaft wie der Jäger und das Schneewittchen.

Heute? Ach ja, heute. Heute sind wir ein Land von zeigefingerhebenden Kindergartentanten geworden. Was ich von Sex und Gewalt halte? Ja meint ihr, ich wollte, dass die Märchen verboten werden?

 

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