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Jeder weiß, dass Forscher edelmütige Menschen sind, die nichts anderes im Sinn haben, als die Wahrheit herauszufinden. Doch wild ist der Westen, und schwer ist der Beruf: Wie sonst könnten die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Stern“ auf so unterschiedliche Zahlen kommen:

Süddeutsche (Emnid): „In der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen hat lediglich jeder Dritte bereits Geschlechtsverkehr gehabt“. Stern (Forsa): „Jeder zweite 16-Jährige hatte schon einmal Geschlechtsverkehr“.

Süddeutsche (Emnid): „Für 42 Prozent der Mädchen ist das erste Mal entweder „nichts Besonderes“, mit einem „schlechten Gewissen“ behaftet oder „unangenehm“. Stern (Forsa):“ 77 Prozent der Mädchen sagten, das erste Mal sei ein schönes Erlebnis gewesen“.

Die Alpenrepublik Österreich hat eine neue Farce: Alle Jugendlichen unter 18 Jahren werden per Gesetz zu Kindern ernannt – jedenfalls, wenn sie einander Nacktbilder schicken oder sie sonstwo nackt dargestellt werden.

Damit soll die Verbreitung von „Kinderpornografie“ eingedämmt werden, doch in Wahrheit macht das Alpenland einen großen Teil seiner Jugendlichen zu Kriminellen, denn das Gesetz gilt auch für den Austausch von Bildern unter Jugendlichen.

Bei den Stellungnahmen überwiegt die Meinung, dass dieses neue Gesetz total daneben ist – und selbst ein Vater, der gerne verhindern möchte, dass seine Tochter, die offenbar unter 18 ist, ihrem Freund ein Nacktfoto schenkt, weil der es ja ins Internet stellen könnte, muss sich fragen lassen: „Und soll sie dafür in den Knast gehen?“ Gute Frage.

Gelesen in: Der Standard.

Wie können gebildete Menschen sich darüber im Unklaren sein, was eigentlich „Pornografie“ ist und was „Erotik“? Vermutlich, weil Wörter und ihre Bedeutung nicht mehr zählen. Von den Schmuddelkindern bis zu den Zeitungsredakteuren hat sich das „Humpty-Dumpty“-Prinzip(*) eingebürgert: Jeder kann jedes Wort heißen lassen wie er will, wenn er nur genügend Macht hat.

Alsdann: Pornografie ist Schrifttum über das Leben der Huren, im erweiterten Sinne jede erdenkliche Darstellung sexueller Aktivitäten, die alleine der Steigerung der geschlechtlichen Lust dienen. Solche Formulierungen haben in vielfach abgewandelter Form auch Eingang in die Rechtsprechung gefunden.

Erotik hingegen ist eine Form sinnlicher Wahrnehmung, die in dieser Weise nur im Kopf des Betrachters entsteht: Kein anderer Mensch kann sie genau so nachvollziehen. „Erotisch“ kann in diesem Zusammenhang alles sein – eine Farbe, eine Form oder auch eine Darstellungsform der Sexualität.

Nun steht in den meisten zivilisierten Staaten im Gesetzbuch, was Pornografie ist – das bedeutet aber nicht, dass alle Menschen in gleicher Weise empfinden: Was für den einen sexuell erregend wirkt, lockt bei einem andren Menschen lediglich ein Lächeln hervor. Anders als bei der Erotik geht es aber hier nicht um eine Empfindung, sondern um eine Auffassung: Jemand meint, für ihn persönlich (laso in seiner Wahrnehmung) sei eine Abbildung, eine Skulptur oder auch eine Theateraufführung „Pornografie“. Meint dies ein Journalist, so darf man erwarten, dass er dafür eine Begründung gibt, während wir dies nicht unbedingt erwarten dürfen, wenn von „Erotik“ die Rede ist - dann weiß der Leser nämlich, dass sie der Ausdruck einer Empfindung ist.

Wo bliebt da der Sex? Oh, dies ist ein ziemlich neutrales Wort: Eine sexuelle Handlung ist eine geschlechtliche Handlung, und „sexy“ ist, wer geschlechtstypische Attribute zur Schau trägt. Die englischsprachigen Länder benutzen das Wort aber auch für „ihr oder sein Geschlecht“, wodurch die Sache noch neutraler wird. Entsprechen sagt man dort „Sexindustry“ oder „Sexworker“, und meint eine Branche oder eine Arbeit, die sich mit dem „Geschlechtlichen“ beschäftigt. Ob dies unmittelbar mit dem deutschen begriff „Sex haben“ zusammenhängt, ist dabei nicht definiert – und deshalb sind die deutschen Äquivalente „Sexbranche“ (oder ganz schlimm: “Sexindustrie“) und „Sexarbeiter(in)“ schlicht irreführend. Die deutsche Presse benutzt sie dennoch, wohl wissend, dass sie die Sprache damit in unzulässiger Weise manipuliert, doch je häufiger „Sex“ in einem Artikel vorkommt, um so mehr wird er gelesen.

* "Aus: Alice hinter den Spiegeln" engl: "Through the Looking Glass" Autor: Lewis Carroll (1832-1898, Dichter, Mathematiker und Fotograf. Erschienen 1875.

"Wenn ich ein Wort gebrauche", sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, "dann heißt es genau, was ich für richtig halte - nicht mehr und nicht weniger."
"Es fragt sich nur", sagte Alice, "ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann."
"Es fragt sich nur", sagte Goggelmoggel, "wer der Stärkere ist, weiter nichts."



`When I use a word,' Humpty Dumpty said in rather a scornful tone, `it means just what I choose it to mean--neither more nor less.'
`The question is,' said Alice, `whether you CAN make words mean so many different things.'
`The question is,' said Humpty Dumpty, `which is to be master-- that's all.'

 

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