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Angekündigt ist ein AVRO-Cityliner – eines von diesen etwas angejahrten Flugzeugen der Swiss, die mich immer irgendwie an Sardinenbüchsen erinnern: Sollte der Vordermann auf die Idee kommen, den Sitz nach hinten zu stellen, muss man sich darauf einstellen, mit stark angewinkelten Armen zu lesen, zu essen und zu trinken.

Doch zu meiner Überraschung fliegt man auf der Strecke Zürich-Budapest heute einmal Airbus, und noch etwas ist neu: Freundliche deutsch und englisch sprechende Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen versuchen dem Gast, das Reisen möglichst angenehm zu gestalten. Auch das war nicht immer so: Ich erinnere mich noch deutlich an Swiss-Flugbegleiterinnen, deren Muttersprache Französisch war und die in Englisch oft kaum verständlich machen konnten. Bei so viel Freundlichkeit kann man vielleicht darüber hinwegsehen, dass ein belegtes Brötchen und ein Glas Wein 15 Schweizer Franken kosten, was den Hin- und Rückflug um etwa 20 Euro verteuert. Warum man auf einem Flug, der regulär mit Gebühren gegen 400 Euro kostet, keine kostenlose Mahlzeit servieren kann, bleibt eines der immer währenden Geheimnisse der Swiss.

Eigenartig – obwohl man wegen des Codeshare-Systems ja kaum noch weiß, wer wirklich fliegt, bevorzugen ungarische Geschäftsleute und Touristen die Malev, während Schweizer, Deutsche und Engländer eindeutig die Swiss vorziehen. So ist es auch heute. Man hört kaum ein Wort ungarisch, die meisten Fluggäste unterhalten sich in Deutsch oder Englisch, manche in einem Gemisch aus mehreren Sprachen, und auch das Verhalten scheint anders zu sein als in den Flugzeugen der Malev. Es mag freilich auch am November liegen: Wer jetzt nach Budapest fliegt, hat meist einen anderen Grund, als die Stadt zu genießen oder Verwandte zu besuchen.

Das Paar neben mir zum Beispiel – beide sind kaum über 25. Ist es überhaupt ein Paar? Er redet pausenlos von seinem Geschäft und beschäftigt sich dabei mit seinem Notebook-Computer, sie war sichtlich bemüht, seine Aufmerksamkeit auf ihre Person zu lenken, giert nach Blicken, Berührungen, Zärtlichkeiten. Wenn sie nicht versucht, ihn für sich zu interessieren, sitzt sie da wie in einem indischen Tempel: Die Haltung mädchenhaft, aber fest und kerzengerade, sitzt sie in einer dem Schneidersitz ähnlichen Position auf dem Sessel und starrt mit ihren kühlen Meeresaugen durch die Sitzreihen. Der Mann verweigert sich, lässt sie abblitzen, weist alle Annäherungen zurück. Schließlich fragt sie ihn, warum er so handle. Er fragt zurück, warum sie warum fragen würde. Das veranlasst sie zum Schmollen: Demonstrativ legt sie die Arme vor die Brust und senkt den Kopf tief in die Arme ab. Er lässt sie eine Weile schmollen, deutet vage an, dass es die Zärtlichkeiten vielleicht später gäbe, doch sie scheint ihm zu misstrauen.

Eine Dame jenseits der 50 mit schönem Blondhaar und auf einem Styling Marke jugendlich, zurückhaltend und naturschön blickt häufig zu mir herüber: immer dann, wenn sie das Gebläse nachstellt. Das tut sie oft, denn sie trägt hier an Bord einen Pelzmantel. Natürlich nicht nur einen Pelzmantel, sondern noch entsprechend teure und wärmende Teilchen darunter. Sie hätte in wirklich ausziehen können.

Inzwischen hat der Pilot den Sinkflug eingeleitet. Das junge Paar scheint sich irgendwie arrangiert zu haben. Gut, sie will ihn, und sie will ihn möglichst bald. Aber wird sie ihn bekommen? Und die Dame im Pelz, wer wird auf sie warten? Nein, ich will es nicht wissen. Ich will die Fragmente erhalten, die zufälligen, flickwertartigen Begegnungen. Man vergisst sie sind Leben lang nicht, jene flüchtigen, scheu lächelnden Gesichter: Und so wird man noch nach Jahren eine Geschichte darüber schreiben können, sei sie wahr oder erfunden.
 

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