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Damals, als ich noch ebenso intensiv wie trunken mit der Gymnasiallehrerin Henny diskutierte, kam es wohl vor, dass unsere Gespräche eigenartige Wendungen nahmen: Redeten wir eben noch freimütig und spöttisch über die emotionalen und insbesondere die sexuellen Präferenzen unserer lieben Mitmenschen, so wurde Henny plötzlich nachdenklich. „Jojo“, pflegte sie dann zu sagen, „Jojo, das kannst du nicht verstehen – dazu muss man wirklich eine Frau sein“.

Wir sprachen über das „erste Mal“ und die Schwierigkeiten, die junge Mädchen offenbar damit hatten, das fleischliche „Etwas“ in ihren Körper hineinzulassen, dass machtvoll und bisweilen rücksichtslos in sie hineindrängt, und von dem sie ahnen, dass es ihnen Freude und Schmach, Lust und Schmerz und nicht zuletzt Begierde und Wahn bringen kann.

„Kein Mann kann es verstehen“, sagte sie, „kein Mann, verstehst du – gar keiner“. Dabei sah sie mich mit ihren braunen Rehaugen so intensiv an, dass man es ihr einfach glauben musste.

Ich versuchte, dagegen zu argumentieren: dass auch die jungen Männer ihr Fleisch in etwas Ungewisses stecken würden, dass sie die Angst umtriebe, verschlungen zu werden, gefangen zu bleiben in der neu gefundenen Höhle oder gar durch scharfe, irgendwie verborgene Zähne zwischen den weichen Schamlippen zerfetzt zu werden: das Szenario des erotischen Horrors.

Nein, nicht dass ich mich an dergleichen erinnerte. So groß damals meine Begierde war, so wenig konnte ich sie genießen, und ich darf zu meiner Entschuldigung sagen, dass ich damals auch noch nicht genussvoll essen gelernt hatte.

Henny beobachtet mich, während ich sprach, hielt anhand meiner Gesten Dichtung und Wahrheit auseinander, bis sie wieder jener entspannte und liebevolle Gesichtsausdruck zurückkam, der einen Teil ihres Zaubers ausmachte. Schließlich sagte sie mit hintergründigem Lächeln: „Ach Jojo, vielleicht ist es doch gut, wenn die jungen Männer das erste Mal mit einer Frau meines Alters verbringen“.

In diesem Moment wäre ich gerne ein junger Mann gewesen, der schüchtern das stets von wilden exotischen Düften durchdrungene Wohnzimmer von Henny betrat. Ich hätte mich dann auf diesen Sessel gesetzt, und hätte ihr unweigerlich in die rehbraunen Augen gesehen, denen zu widerstehen absolut zwecklos war. Blicktrunken wäre ich in die Liebe hineingeschliddert, während sie mir die Hand vor den Mund gehalten hätte, damit meine Liebesschreie nicht von den Kindern der Nachbarin gehört würden.

Ich verabschiedete mich an diesem Tag auffällig schnell von Henny. Kein zärtliches Schmusen zum Abschied, wie wir es sonst oft taten. Oh, sie erwartete, dass ich mich nach diesen Gedanken im Sog ihrer Augen in die Tiefen der Liebe ziehen lassen würde? Aber nein. Frauen für die Lust gibt es immer, aber Freundinnen sind sehr selten.
 

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