anstoss

  sehpferdvs sehpferds magazin für anstöße und anstößiges

erzaehlt und geschminkt

Wenn man eine Frau sieht, die stets mit einem Blazer bekleidet ist, deutlich auf Haltung bedacht ist und jenen Blick hat, der außen Eis und innen Feuer ausstrahlt, hat man es meist mit einer Dame zu tun, die ihr erotisches Leben selbst bestimmt. Diese Damen verhalten sich oft wie Männer: Sie nehmen eine Person mit ins Bett, wenn es ihnen beliebt, und werfen sie heraus, wenn sie keine Lust mehr auf sie haben.

Nadja war so eine Frau. Ich war gerade frisch geschieden und erzählte von den wundersamen, aber kurzen Begegnungen mit den Damen, die Männern in dieser Situation gerne gefällig sind. Sie lachte mich an, weil sie offenbar ähnliche Erfahrungen mit kurzen, heftigen und skurrilen Begegnungen hatte – mit Frauen.

Selbst eine Turnierreiterin, rekrutierte sie ihre „Mäuschen“, wie sie sich gerne ausdrückte, meist im Reitstall. Sie schien auf diese jungen Frauen wie ein Magnet zu wirken. Meist stellte die jungen Damen ihr Fragen zum Frausein – dafür war sie als diplomierte Expertin anerkannt. Schon dabei wog sie ab: Konnte eine wirklich schön erröten und war sie genügend neugierig, wurde sie eingeladen – immer samstags nachmittags, und immer nur auf einen Kaffee.

Sie erzählte gerne, wie leicht es war, die Bedürfnisse herauszufinden. Gute Verführerinnen und Verführer setzen immer bei den Defiziten an, und das war fast immer Zärtlichkeit. Ein bisschen spielen – umarmen, vielleicht küssen, dann wieder loslassen, das Mäuschen einen Moment glauben machen, es würde ja doch nichts geschehen, um dann doch noch eine kleine Intimität zu beginnen. Alles intuitiv, und doch mit der Präzision eines Uhrwerks, bis sie morgens zu sagen pflegte: „Du könntest jetzt eigentlich mal für Frühstück sorgen“.

Sie sagte mir, es sei die Jagd, die ihr die Freude bereitete, ja, natürlich auch die Zärtlichkeit, und die Intimität, aber dann vor allem die Lust. Sie behauptete, die Mäuschen seine sehr lernfähig – man könne sie ganz schnell ein bisschen dressieren – doch daran habe sie kein Interesse. Katzen, so ergänzte sie gerne, würden niemals viel Zeit auf eine einzelne Maus verschwenden.

Ich verlor Nadja eine Zeit aus den Augen und als uns der Zufall einmal wieder zusammenbrachte, sah ich sie mit einem Herrn in schönem Zwirn. Sie muss mein Staunen bemerkt haben, denn sie sagte schnell: „Man kann nicht ewig Mäuschen jagen, weißt du“. Dann hielt sie den Finger vor den Mund und flüsterte: „kein Wort zu ihm“. Der Herr im schönen Zwirn war sichtlich erleichtert, als ich ihm sagte, wir hätten vor Jahren einmal kurz geschäftlich zu tun gehabt, ansonsten würden wir uns aber kaum kennen.

Damals, als ich noch ebenso intensiv wie trunken mit der Gymnasiallehrerin Henny diskutierte, kam es wohl vor, dass unsere Gespräche eigenartige Wendungen nahmen: Redeten wir eben noch freimütig und spöttisch über die emotionalen und insbesondere die sexuellen Präferenzen unserer lieben Mitmenschen, so wurde Henny plötzlich nachdenklich. „Jojo“, pflegte sie dann zu sagen, „Jojo, das kannst du nicht verstehen – dazu muss man wirklich eine Frau sein“.

Wir sprachen über das „erste Mal“ und die Schwierigkeiten, die junge Mädchen offenbar damit hatten, das fleischliche „Etwas“ in ihren Körper hineinzulassen, dass machtvoll und bisweilen rücksichtslos in sie hineindrängt, und von dem sie ahnen, dass es ihnen Freude und Schmach, Lust und Schmerz und nicht zuletzt Begierde und Wahn bringen kann.

„Kein Mann kann es verstehen“, sagte sie, „kein Mann, verstehst du – gar keiner“. Dabei sah sie mich mit ihren braunen Rehaugen so intensiv an, dass man es ihr einfach glauben musste.

Ich versuchte, dagegen zu argumentieren: dass auch die jungen Männer ihr Fleisch in etwas Ungewisses stecken würden, dass sie die Angst umtriebe, verschlungen zu werden, gefangen zu bleiben in der neu gefundenen Höhle oder gar durch scharfe, irgendwie verborgene Zähne zwischen den weichen Schamlippen zerfetzt zu werden: das Szenario des erotischen Horrors.

Nein, nicht dass ich mich an dergleichen erinnerte. So groß damals meine Begierde war, so wenig konnte ich sie genießen, und ich darf zu meiner Entschuldigung sagen, dass ich damals auch noch nicht genussvoll essen gelernt hatte.

Henny beobachtet mich, während ich sprach, hielt anhand meiner Gesten Dichtung und Wahrheit auseinander, bis sie wieder jener entspannte und liebevolle Gesichtsausdruck zurückkam, der einen Teil ihres Zaubers ausmachte. Schließlich sagte sie mit hintergründigem Lächeln: „Ach Jojo, vielleicht ist es doch gut, wenn die jungen Männer das erste Mal mit einer Frau meines Alters verbringen“.

In diesem Moment wäre ich gerne ein junger Mann gewesen, der schüchtern das stets von wilden exotischen Düften durchdrungene Wohnzimmer von Henny betrat. Ich hätte mich dann auf diesen Sessel gesetzt, und hätte ihr unweigerlich in die rehbraunen Augen gesehen, denen zu widerstehen absolut zwecklos war. Blicktrunken wäre ich in die Liebe hineingeschliddert, während sie mir die Hand vor den Mund gehalten hätte, damit meine Liebesschreie nicht von den Kindern der Nachbarin gehört würden.

Ich verabschiedete mich an diesem Tag auffällig schnell von Henny. Kein zärtliches Schmusen zum Abschied, wie wir es sonst oft taten. Oh, sie erwartete, dass ich mich nach diesen Gedanken im Sog ihrer Augen in die Tiefen der Liebe ziehen lassen würde? Aber nein. Frauen für die Lust gibt es immer, aber Freundinnen sind sehr selten.

„Hast du eigentlich einen Liebhaber oder so etwas?“ Die junge Bankmanagerin sah mich ein wenig überrascht an, so, als hätte ich gefragt, ob sie sich Kaninchen hält, doch schließlich gewann sie ihr spitzbübisches Lächeln zurück und sagte: „Nein, wenn ich das Bedürfnis nach einem Mann habe, dann besorge ich mir einen“.

Ich konnte mich nicht erinnern, solche Worte schon einmal aus dem Munde einer Frau gehört zu haben – jedenfalls noch nicht von einer Hetero-Frau. Wahrscheinlich hatte ich die letzten zehn Jahre etwas versäumt – gesellschaftliche Veränderungen gehen an verheirateten Menschen oft ganz und gar vorbei. Doch nun war ich wieder alleine, und neugierig auf die Welt, und so fragte ich nach ihren Bezugsquellen für derartige Personen. Ich hoffte immer noch, mich verhört zu haben.

Sie sah mich deutlich geschäftsmäßig an und sagte zunächst leichthin, dass die Beschaffungsfrage einfach zu lösen sei: Schräg über die Straße befände sich das internationale Hotel, wo all die Herren wohnten, die in ihrer Gegend wichtige Geschäfte tätigten. Da gehe sie hin. Der Rest ergäbe sich von selbst.

Ich muss sie angesehen haben, als käme sie unmittelbar vom Mars, was offenbar ihr Mitteilungsbedürfnis anregte, und so erzählte sie mir dann, wie dieses Spiel abläuft.

„Weißt du, ich ziehe mich an wie ich auch ins Büro gehen würde – in Blazer und halblangem Rock – allerdings mit einer schwarzen, ein wenig transparenten Bluse. Hinzu kommen eigentlich nur noch High Heels – und natürlich ein paar exzellente Dessous – die erweisen sich später als sehr praktisch“. Sie sprach so, als würde sie mir einen Finanzierungsplan erläutern, und lediglich bei dem Wort „später“ huschte eine leichte Rötung über ihr Gesicht. „Dann, so fuhr sie fort, „setze ich mich an die Bar und warte, bis mich ein Herr anspricht, der mir gefällt“.

Ich unterbrach sie. „Als was gibst du dich aus?" Nun grinste sie etwas, als sie antwortete: „Als Hotelgast – verheiratete Bankmanagerin aus München, die wegen eines Finanzierungsplans bei einem hiesigen Kunden ist – du kannst dir vielleicht vorstellen, dass keiner der Herren merkt, dass etwas an der Sache nicht stimmt“, und nach einer Pause: „Weißt du, ich bin nicht die einzige Frau, die hier so etwas macht – es gibt Konkurrentinnen: Hausfrauen, Flittchen ... da muss man schon beweisen, dass man ebenbürtig ist. Nur so glauben die Herren an den Zufall“.

Ich dachte einen Moment nach und wagte dann zu fragen: „Und du bis zufrieden mit dem, was dann passiert?“

Nun dachte sie nach, um schließlich zu sagen: „Zumeist schon ... weißt du, ich sage den Herren, wie ich es gerne habe, und die meisten machen es dann auch so – jedenfalls zu Anfang. Am Ende können sie sich dann ein bisschen auf ihre Art vergnügen - das brauchen Männer wohl“.

Ich sah sie lange an: „Wenn du es schon wildfremden Männern sagst - würdest du mir auch verraten, wie du es gerne hättest?“ Sie zeigte sich wenig überrascht von meiner Frage: „Nein Jojo, ich brauche dich als Freund. Liebhaber gibt es dort drüben, soviel ich haben will“. Ich hatte die Antwort erwartet.

Als ich beim Heimgehen an ihrer Garderobe vorbeikam, sah ich, dass an ihrem Schlüsselbrett ein Hotelschlüssel hing. Sie hatte wirklich an alles gedacht.

In den folgenden Tagen musste ich noch oft an die örtliche ledige Bankmanagerin denken, die nachts lüsternen Herren vorspielte, eine durchreisende, verheiratete Bankmanagerin zu sein.

„Am Wochenende sind die Kinder weg, da komm doch einfach in mein Haus auf dem Killesberg“, sagte sie verträumt und wollüstig in der Nacht, als wir und auf dem Schlossplatz verabschiedeten. „Bist du denn sicher, dass wir zusammenpassen?“ antwortete ich angesichts ihrer taubenblau geschminkten Augenlieder und anderer übertriebener Malereien, vom aufgeschminkten Charakter einmal ganz zu schweigen. „Wieso?“, antwortete sie, „du bist ein Mann und ich bin eine Frau – da passen wir doch gut zusammen“.

Ich denke, ich habe noch ein Lächeln zustande gebracht, als ich ihr sagte, ich würde sie deswegen noch einmal anrufen.

Erste Version, den Tatsachen nahe

Unsere Beziehung bestand darin, dass sie mich anrief, ich solle sie abholen, und zwar immer an der gleichen Stelle, vor einem Haus, in dem sie zu wohnen vorgab. In dieser Straße war es ohnehin unmöglich einen Parkplatz zu finden, und so stand sie stets vor einer verwinkelten Stuttgarter Häusergruppe mit einigen verschachtelten Hinterhöfen. Sie sagte nie, man solle klingeln oder etwas in der Art, sondern forderte stets, pünktlich mit dem Auto zur Stelle zu sein.

Sobald sie meine Wohnung betrat, setzte sie sich sofort aufs Sofa, um eine kleine belanglose Unterhaltung mit mir zu beginnen. Sie aß nicht die kleinste Kleinigkeit bei mir, verschmähte jede Form von Alkohol, trug niemals aufreizende Wäsche, weigerte sich stets, das Höschen auszuziehen und verlangte beständig, dass die Deckenbeleuchtung eingeschaltet blieb.

Nach einer Weile schmiegte sie sich jedes Mal an mich, als Zeichen, geküsst werden zu wollen, um nach vier bis fünf langen Zungenküssen die Bluse etwas aufzuknöpfen und mit der Hand zu prüfen, ob die Zungenküsse genügend Wirkung zeigten. Sie kniete sich dann stets vor mich hin und begann, mit kunstvollen Techniken die „französische“ Liebe an mir zu vollbringen, wobei sie stets darauf bestand, dass ich ein Kondom dabei verwendete. Sobald ihre Tätigkeit Erfolg hatte, setzte sie sich wieder neben mich, ließ sich noch einmal küssen und bestand dann alsbald darauf, nach Hause gefahren zu werden.

Erst bei unserer fünften Begegnung war es anders. Nachdem sie, wie üblich, ihren Liebesdienst am mir verrichtet hatte, sagte sie nachdenklich: „Weißt du, wir machen immer das Gleiche, nicht wahr“? Ich konntet nicht anders als dies zu bejahen und fragte: „Warum bleibst du dann nicht einmal über Nacht“? Sie lächelte, sagte, es gebe keinen Grund dafür und ließ sich heimfahren.“. Zum Abschied bekam ich den üblichen Kuss und den Hinweis, sie würde mich nun in Zukunft nicht mehr anrufen, zwischen uns sei es „aus“.

Offen gestanden war ich froh, dass die Sache vorbei war, denn so gerne ich ihre Naschereien mochte, so wenig war die Beziehung geeignet, positive Gefühle zu wecken.

Kurz vor Mitternacht klingelte das Telefon: Ja, sie wäre es und ja, sie habe gerade jetzt eine entsetzliche Lust auf mich. Ob ich sie abholen solle? Nein, bitte nicht. Dann erklärte sie mir, wo sich ihre Hand gerade befände und was sie dort machen würde und dass ich mir bitte unverzüglich vorstellen solle, ich könne sie dabei beobachten. Ich hielt den Hörer eine Weile ans Ohr, übte ein wenig aktives Zuhören an den Wortfetzen und Stöhnlauten, die durch die Leitung drangen, bis ein unterdrückter Schrei die Erlösung ankündigte.

Sie sagte noch: "Danke, dass du mir zugehört hast – und wenn du es mal ganz nötig hast, darfst du auch bei mir anrufen, dann mache ich es mit dir gemeinsam."

Ich habe sie nie angerufen. Irgendwie eigne ich mich nicht für Telefonsex.

„Du, ich kann dieses Projekt selbst für dich nicht gratis machen – es kostet mich zu viel Aufwand“. Am anderen Ende entstand eine Pause. Der Erbeerschaumklang von Evis Stimme verlor vorübergehend seine Konsistenz und variierte einige Momente zwischen Hausfrauenqualität, Über-das-Verfalldatum und leicht angeschimmelt, als sie sich doch wieder fing und alles schnell zurückverwandelte: „Gut Jojo, bring die fertigen Unterlagen am Montag bei mir vorbei – dann kannst du dir selber dafür holen, was du willst“, und, nach einer Pause, weil ich nicht sofort darauf einging: „Und es wird diesmal besonders schön, das verspreche ich dir – sozusagen mit etwas Sahne oben drauf.“.

Ich konnte auf die Sahne verzichten. Erstens macht sich Bargeld in der Kasse immer besser als ein gebrauchtes Kondom, und außerdem war die Sache mit oder ohne Sahne nicht viel Wert, weil sie stets versuchte, ihre Rechnung auf diese Weise zu begleichen.

Meine Arbeit konnte sich sehen lassen: eine komplette Präsentation für ihr neues Unternehmen, mit dem sie reich werden wollte – „Persönlicher Erfolg durch spirituelle Re-Sensibilisierung“ oder so etwas. Etwas eben, zu dem man einen geschickt frisierten Lebenslauf braucht und ein paar Versatzstücke aus der Hokuspokuskiste. Wenn es jemanden in der Stadt gab, der den Spagat zwischen Tatsachen und Lügen so glaubwürdig schaffte, dass man nicht von Betrug sprechen konnte, dann war ich es.

Also Montag. Nachts war Schnee gefallen und mein alter Volvo schaffte es nicht mehr ganz auf den verschneiten Hügel zu kommen, auf dem Evi hauste, und so ließ ich ihn ein paar Straßen tiefer stehen. Sie empfing mich mit der gleichen damenhaften Fassade wie an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegneten, und wieder tranken wir Tee. Die Präsentation war schnell besprochen: Broschüre, Internet-Auftritt und Powerpoint, für jeden Verwendungszweck neu aufbereitet.

Schließlich holte Evi zwei Sektgläser und eine Flasche guten Champagner, ließ mich die Flasche öffnen und sagte: „Jojo, du hast das wirklich gut gemacht. Ich will dich nicht einfach im Regen stehen lassen, weißt du – du kannst dir heute Nacht wirklich nehmen, was du willst – und wenn du magst, auch noch ein bisschen mehr“. Dabei spitze sie den Mund und schlürfte mit offenem, lüsternen Mund ihren Champagner. Nach einem kurzen Moment stand sie auf, reckte sich, sodass ich sie von High Heels bis zum Scheitel begutachten konnte und sagte „ich ziehe noch schnell etwas Leichteres an“.

Es war genau wie das letzte Mal. Bald würde sie herauskommen, mit einem Fummel, wie ihn alternde Ehefrauen tragen, ob ihren Ehemann noch einmal heiß zu machen, über und über mit diesem schweren, moschusträchtigen Parfüm eingesprüht und jenem einstudierten schüchternen Lächeln, das vortäuschen sollte, dass sie diese Nummer nicht ständig abzog.

Es gab an ihr nichts zu nehmen. Nichts, was ich haben wollte. Keine müden, stark überschminkten Augen, keine Brüste, die schon hundert Augenpaare vor sich wippen sahen und keine Hände, die schon alles in der Hand hatten, was männlich war.

Also ging ich zu der kleinen Vitrine, in der sie die erotischen Wiener Miniaturen aufbewahrte, die ihr Großvater gesammelt hatte und nahm mir das schönste Stück – eine Odaliske auf einem Lotterbett, stellte sie vor mir auf dem Glastischchen auf und wartete höflicherweise, bis sie zurückkam.

Sie sah genau so aus, wie ich erwartet hatte, nur dass es diesmal ein pinkfarbenes, schwarz abgesetztes Baby Doll war, unter dessen durchsichtigem Stoff ihre geschminkten Brustwarzen hervorlugten. Ich sah sie kurz an und sagte: „Danke, aber ich habe bereits gefunden, was ich nehmen will“.

Evi war zu verblüfft, um mich an irgendetwas zu hindern. Ich ging zur Garderobe, rollte mich in Schal und Pelz ein und legte die Hand auf die Klinke, als Evi ihre Fassung wieder fand: „Warum hast du nicht … mich gewählt?“, stammelte sie mit flackernden Augen. Ich nahm die Klinke fester in die Hand und sagte leise: „weil ich etwas von Wert wollte“ und ging hinaus. Mit jedem Schritt, den ich mich von Evis Haus entfernte, wurde mir wohler, und der kleine bronzene Gegenstand in meiner Hand gab mir alles Glück, was ich in dieser Winternacht brauchte.

Die Odaliske habe ich heute noch. Sie steht in meiner kleinen Vitrine im Arbeitszimmer und erinnert mich daran, dass Dinge von Wert auch im Alter noch Freude machen. Evi verschwand aus meinem Leben und wenig später aus der Stadt. Es heißt, sie habe einen reichen Schweizer geheiratet, der ihr in Genf ein esoterisches Institut finanziert habe.

„Sehen wir uns wieder"? „Ich rufe dich an“.

Zwei Menschen gehen auseinander. Sie haben gerade versucht, sich kennen zu lernen. Vielleicht hatten sie das Glück, sich wahrhaftig zu mögen: dann sagen sie nie „ich rufe dich an“, sondern sie sagen „wenn hast du das nächste Mal Zeit?“ oder „ich möchte dich sehr gerne wiedersehen. Wann ist es dir Recht"? Wenn sie weniger Glück haben, fanden sie vielleicht den Abend nett, sagen einander, dass sie sich zwar nicht völlig gleichgültig wären, dass sie aber vielleicht doch nicht die richtigen Partner füreinander wären. Dazu gehört Mut, Zeit und manchmal auch die Geduld, einer langatmige Diskussion darüber standzuhalten, wie schnell man einen Menschen beurteilen kann. So kommt es, dass all jene, die Erläuterungen, Tränen und Wutausbrüche scheuen, sich gerne auf eine Floskel herausreden: Ich rufe dich an.

Jeder denkt von jedem, er verstehe den Satz. Jeder meint, er wisse, dass es nur ein Teilsatz ist. Jeder denkt, der andere würde die Ergänzung kennen: „... falls ich dich noch einmal wiedersehen will“.

Einmal begegnete ich einer dieser Frauen wieder. Sie sah mir ins Gesicht, um dann mit ernster Stimme zu sagen, "was für ein gemeiner Lügner sie sind, sie haben gesagt, sie rufen an ... so machen sie Frauen also Hoffnungen“. Sie war genau diejenige Art Frau, die einen Mann in ein zweites Treffen hineindiskutiert hätte.

Indessen wäre ich einmal beinahe das Opfer dieser eigenartigen Verständigungskunst geworden: eine Dame in Tübingen, ein sehr spannungsgeladenes Treffen. Ich fragte, was sie nun beabsichtige, und sie sagte den Satz. Diesmal griff ich nach dem letzten Fädchen: „Aber ... habe ich Ihnen so wenig gefallen?“ Sie stutzte, schwang sich auf ihr Fahrrad und sagte:" ich habe doch gesagt, dass ich sie anrufe". Es war ihr erstes Blind Date, ganz offensichtlich. Die Geschichte soll nicht enden, ohne dass ich dies sage: Sie hat mich angerufen. Es gab eine spannungsreiche Affäre, die immerhin fast ein drei viertel Jahr dauerte.

Ich weiß nicht, ob sie schon einmal erlebt haben, dass sich die Zeiten um sie herum erheblich veränderten, sie selbst aber kaum etwas davon bemerkten. Natürlich hatten sie davon gehört, dass es jetzt etwas anders zuging, aber sie – sie waren ja nie betroffen. Sie luden weiterhin in gute Lokale ein, tranken anschließend Wein und erlaubten sich erst bei der dritten Begegnung (so hatten sie es schließlich gelernt), darauf aufmerksam zu machen, dass für ein Liebespaar auch das Bett ein geeigneter Platz zum Kennenlernen ist.

Ich muss zu der folgenden Geschichte sagen, dass es nicht meine Art war, mich mit Blind Date Damen gleich abends zu einem großen Essen oder zum Wein zu verabreden, sondern bevorzugte, gegen Nachmittag einen Kaffee mit ihnen zu trinken. Die Praxis zeigt: es ist wesentlich einfacher, sich nach einem Kaffee auf eine unverbindliche Floskel herauszureden als nach einem Drei-Gänge-Menü gefolgt von einer Flasche Champagner.

Lachen sie bitte nicht, liebe Leserin – der Vorschlag, beim ersten Kennenlernen opulent zu speisen, stammt nicht selten vom weiblichen Part des Blinddates, der in solchen Fällen zumeist auch schon Pläne für das Frühstück hat. Aber das wusste ich damals noch nicht. Wie ich schon bemerkte: Ich hatte von jenen merkwürdigen Begebenheiten aus dem Munde Dritter gehört, war aber nie betroffen.

Die junge Frau, mit der ich eines Abends aufgrund einer Zeitungsanzeige telefonierte hatte Charme, war schlagfertig und sprach zumindest keinen peinlich breiten Dialekt. Sie argumentierte, nicht mit mir in ein Café gehen zu wollen, man müsse sich ja doch länger unterhalten – da könne man auch gleich zu Abend essen. Es war, wie sich später zeigte, eine der gängigen Ausreden der Frauen, die Kinder erziehen: Mit ihnen kann man sich fast nur abends nach umfangreichen Vorbereitungen verabreden. Nun, das musste ich ja vielleicht nicht gerade wissen.

Wie auch immer: Für derartige Fälle hatte ich ein Stuttgarter Weinlokal im Sinn, eines, das ein so geheimer Geheimtipp ist, dass Zufallsgäste nicht einmal den Eingang finden. Verabredet war, eine Kleinigkeit zu essen, dann ein Glas Wein zu trinken und dabei ein bisschen zu plauschen, ob und wie es mit uns gehen würde, rein theoretisch, selbstverständlich.

Die Dame erwies sich als ziemlich unpassend für diese Art von Lokal und bei näherem Hinhören als ebenso unpassend für mich, doch versuchte ich, zu tun, was ich für solche Fälle gelernt hatte: Höflich bleiben, den Abend zu Ende bringen, um am Ende zu sagen, dass man die Dame anrufen würde. Doch je später der Abend wurde, um so kuscheliger wurde die Dame, was ja nicht grundsätzlich unangenehm war, denn der Körper der Damen war bei weitem erträglicher als die Konversation mit ihr. Indessen überraschte es mich doch, als sie plötzlich sehr direkt fragte: „Du bist nicht mit mir ausgegangen, um mit mir zu reden, oder?“ Zu jener Zeit traute ich mich noch nicht, eine solche Einladung abzulehnen.

In dieser Nacht bin ich erstmals wieder in einem dieser sozialen Wohngettos gelandet, die ich aus meiner Jugend kannte, und aus denen ich inzwischen erfolgreich entflohen war: Mit raumhohen Versandhausschränken und dem Gefühl, eingesperrt zu sein.

Soweit ich mich erinnern kann, bin ich mit einem Taxi nachts um halb drei vor der Dame geflohen. Seither habe ich beschlossen, trotz sexueller Libertinage mindestens weiterhin bis zum dritten Abend zu warten – und mein eigenes Bett als Ort des Geschehens vorzuschlagen.

 

Add to Technorati FavoritesMy Popularity (by popuri.us)

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this topic

powered by Antville powered by Helma