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„Du, ich kann dieses Projekt selbst für dich nicht gratis machen – es kostet mich zu viel Aufwand“. Am anderen Ende entstand eine Pause. Der Erbeerschaumklang von Evis Stimme verlor vorübergehend seine Konsistenz und variierte einige Momente zwischen Hausfrauenqualität, Über-das-Verfalldatum und leicht angeschimmelt, als sie sich doch wieder fing und alles schnell zurückverwandelte: „Gut Jojo, bring die fertigen Unterlagen am Montag bei mir vorbei – dann kannst du dir selber dafür holen, was du willst“, und, nach einer Pause, weil ich nicht sofort darauf einging: „Und es wird diesmal besonders schön, das verspreche ich dir – sozusagen mit etwas Sahne oben drauf.“.

Ich konnte auf die Sahne verzichten. Erstens macht sich Bargeld in der Kasse immer besser als ein gebrauchtes Kondom, und außerdem war die Sache mit oder ohne Sahne nicht viel Wert, weil sie stets versuchte, ihre Rechnung auf diese Weise zu begleichen.

Meine Arbeit konnte sich sehen lassen: eine komplette Präsentation für ihr neues Unternehmen, mit dem sie reich werden wollte – „Persönlicher Erfolg durch spirituelle Re-Sensibilisierung“ oder so etwas. Etwas eben, zu dem man einen geschickt frisierten Lebenslauf braucht und ein paar Versatzstücke aus der Hokuspokuskiste. Wenn es jemanden in der Stadt gab, der den Spagat zwischen Tatsachen und Lügen so glaubwürdig schaffte, dass man nicht von Betrug sprechen konnte, dann war ich es.

Also Montag. Nachts war Schnee gefallen und mein alter Volvo schaffte es nicht mehr ganz auf den verschneiten Hügel zu kommen, auf dem Evi hauste, und so ließ ich ihn ein paar Straßen tiefer stehen. Sie empfing mich mit der gleichen damenhaften Fassade wie an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegneten, und wieder tranken wir Tee. Die Präsentation war schnell besprochen: Broschüre, Internet-Auftritt und Powerpoint, für jeden Verwendungszweck neu aufbereitet.

Schließlich holte Evi zwei Sektgläser und eine Flasche guten Champagner, ließ mich die Flasche öffnen und sagte: „Jojo, du hast das wirklich gut gemacht. Ich will dich nicht einfach im Regen stehen lassen, weißt du – du kannst dir heute Nacht wirklich nehmen, was du willst – und wenn du magst, auch noch ein bisschen mehr“. Dabei spitze sie den Mund und schlürfte mit offenem, lüsternen Mund ihren Champagner. Nach einem kurzen Moment stand sie auf, reckte sich, sodass ich sie von High Heels bis zum Scheitel begutachten konnte und sagte „ich ziehe noch schnell etwas Leichteres an“.

Es war genau wie das letzte Mal. Bald würde sie herauskommen, mit einem Fummel, wie ihn alternde Ehefrauen tragen, ob ihren Ehemann noch einmal heiß zu machen, über und über mit diesem schweren, moschusträchtigen Parfüm eingesprüht und jenem einstudierten schüchternen Lächeln, das vortäuschen sollte, dass sie diese Nummer nicht ständig abzog.

Es gab an ihr nichts zu nehmen. Nichts, was ich haben wollte. Keine müden, stark überschminkten Augen, keine Brüste, die schon hundert Augenpaare vor sich wippen sahen und keine Hände, die schon alles in der Hand hatten, was männlich war.

Also ging ich zu der kleinen Vitrine, in der sie die erotischen Wiener Miniaturen aufbewahrte, die ihr Großvater gesammelt hatte und nahm mir das schönste Stück – eine Odaliske auf einem Lotterbett, stellte sie vor mir auf dem Glastischchen auf und wartete höflicherweise, bis sie zurückkam.

Sie sah genau so aus, wie ich erwartet hatte, nur dass es diesmal ein pinkfarbenes, schwarz abgesetztes Baby Doll war, unter dessen durchsichtigem Stoff ihre geschminkten Brustwarzen hervorlugten. Ich sah sie kurz an und sagte: „Danke, aber ich habe bereits gefunden, was ich nehmen will“.

Evi war zu verblüfft, um mich an irgendetwas zu hindern. Ich ging zur Garderobe, rollte mich in Schal und Pelz ein und legte die Hand auf die Klinke, als Evi ihre Fassung wieder fand: „Warum hast du nicht … mich gewählt?“, stammelte sie mit flackernden Augen. Ich nahm die Klinke fester in die Hand und sagte leise: „weil ich etwas von Wert wollte“ und ging hinaus. Mit jedem Schritt, den ich mich von Evis Haus entfernte, wurde mir wohler, und der kleine bronzene Gegenstand in meiner Hand gab mir alles Glück, was ich in dieser Winternacht brauchte.

Die Odaliske habe ich heute noch. Sie steht in meiner kleinen Vitrine im Arbeitszimmer und erinnert mich daran, dass Dinge von Wert auch im Alter noch Freude machen. Evi verschwand aus meinem Leben und wenig später aus der Stadt. Es heißt, sie habe einen reichen Schweizer geheiratet, der ihr in Genf ein esoterisches Institut finanziert habe.
 

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