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Jetzt ist sie wieder da, die Zeit, in der die Kinderaugen strahlen und die Kassen der Einzelhändler klingen. Wahrlich, süßer klingen sie nie als zu der Wei-hei-nachtszeit. Sollen sie ruhig – passiert ja nicht das ganze Jahr, so etwas.

Es ist auch die Zeit, in der sich der Herr Pfarrer die Haare raufen und mahnend den Finger heben: Die „ursprüngliche Bedeutung“ sollte man wieder lehren, wissen sie, die ursprüngliche Bedeutung unseres Weihnachtsfestes.

Nicht Weihnachtsmänner, sondern Krippen! Keine Christkinder, sondern Jesuskinder! Keine Tannenbäume, sondern Kirchgesang!

Die ursprüngliche Bedeutung? Es bringt mich zum Lächeln. Der Ursprung unseres Weihnachtsfestes liegt doch ganz woanders, Herr Pfarrer – sollten sie eigentlich wissen, sie sind ja ein gebildeter Mann.

Nein, ich will sie nicht erneut damit langweilen, dass uns die Missionare dieses christliche Weihnachten in die Zeit der Wintersonnenwende hineingedrückt haben und uns so das ganze Fest seines ursprünglichen Sinns entkleideten. Vielmehr will ich Ihnen dies sagen: Am Weihnachtsabend, so sagt eine alte niederdeutsche Geschichte, da „piepen die Mäuse in Großvaters Haus“.

Der liebe Gott, dass Jesuskindlein nebst Ochs’ und Esel und Morgenlandweisen und was sonst noch an Weihnachten in aller Munde ist, blieb bei uns „außen vor“, wie man so sagte – aber der Lichterbaum natürlich nicht – sehen sie, und den habe ich heute auch noch zu Weihnachten.

Doch Großvaters Haus ist nicht das Haus meines Großvaters, denn jener besaß gar keines. Es ist das Haus jener Gedanken, die uns an unsere Existenz erinnern, an die Wurzeln dessen, was unseren persönlichen Erfahrungsschatz ausmacht. Der einsame Wanderer durch die Gassen, der auch ich über viele Jahre war, schrieb einst, dass Markt und Straßen verlassen seien an diesem Tag. Er sieht die Menschen wohl, die ihre Häuser still erleuchtet halten, doch was soll er in dieser Nacht mit den Menschen? Denn die wirkliche Besinnung findet er erst, wenn kein Mensch mehr seine Gedanken stört: Draußen, auf dem freien Feld erlebt er die Ruhe, die ihn befähigt, in sich hineinzuhören: Nun kann er es wahrnehmen, das stille Singen der Seele. Ich weiß, ich schreibe dies in die falsche Zeit hinein. Derzeit singen die Seelen, wenn überhaupt, laut und mit falschem Zungenschlag.

Wenn Sie es „in Kleingeld“ wollen: Sehen sie, ich habe den extrem harten Winter 1947 als kleines Kind überlebt - in der eisigen äußerlichen Kälte jenes Winters, und so gut wie ohne Brennstoffe - denn die, vor allem Anderen, gab es nicht. Man sagt, ein Kind in jenem Alter erinnere sich an nichts, doch noch heute verfalle ich in Panik, wenn die Innentemperaturen unter 18 Grad sinken, und noch heute genieße ich jeden Tag nach der Wintersonnenwende, der länger ist als sein Vorgänger, so lange, bis sich die ersten Blüten der Magnolien öffnen. Dann weiß ich, dass ich wieder einen Winter überstanden habe.

Was er wohl dazu aufgeschrieben hätte, halb in den Bart gebrabbelt und letztlich auf der Bühne von sich gegeben? „Sehen se Mal, der da, der soll ja ein ganz bekannter Kabarettist gewesen sein“.

Bergleute, Ehrengrab, dazu ein leibhaftiger Ministerpräsident. Schade, dass er es nicht mehr mit ansehen konnte. Schade, dass er nichts mehr dazu auf der Bühne sagen kann. Nur er hätte es gekonnt: In den bekannt leisen Tönen, deren verzwickter Sinn seinen Zuhörern auch noch nach Tagen nachschlich: Was hatte doch Hagenbuch zugegeben?

Hanns Dieter Hüsch gibt es nur noch als Namen auf einem Grabstein. Aber Hagenbuch wird wohl überleben.

 

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