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Wann immer ich ein erotisches Thema angehe, vergewissere ich mich, was man früher darüber gedacht hat, und ich werde fast immer fündig in der 1962 erschienen „Modernen Enzyklopädie der Erotik". Nach ihr ist Pornografie zunächst eine „Abhandlung über die Prostitution" sowie "die Beschreibung der Prostituierten im Zusammenhang mit der öffentlichen Hygiene". Sodann sind es obszöne Bilder und schließlich, zum Dritten, das Obszöne ganz allgemein.

Zitiert wird dann D. H. Lawrence, der geschrieben hat: „Selbst kluge Köpfe können nicht die Erotik von der Pornografie trennen; sie sehen nicht, dass es sich bei Suggestion, Anspielung, Erwartung bis zum Wahnsinn um Erotik handelt; sobald sich Sex in obszöner Weise zeigt und nicht symbolisch oder dekorativ bliebt, sind wir in der abgeschlossen und traurigen Welt der Pornografie“.

Zu dem Zeitpunkt, als dies geschrieben wurde, war erotische Literatur in Deutschland nur schwer zugänglich, pornografische jedoch meist gar nicht. Der Unterschied besteht und bestand vor allem darin, dass auch die „härtesten“ Bücher und Schriften immer noch die Umsetzung des Beschriebenen ins Hirn verlangen, wozu so gut wie immer eine Art Verführung durch Worte nötig ist. Bei Fotos oder gar Filmen kann dies ebenso der Fall sein, doch wird der Sex eben häufig so direkt, unmittelbar und schrankenlos gezeigt, dass der Fantasie kaum noch Spielraum bleibt – das ist dann eindeutig Pornografie.

Inzwischen haben sich durch die Möglichkeiten, die das Internet bietet, solche offensiven pornografischen Fotos vieltausendfach verbreitet: Meist werden sie nach Genres aufgeteilt und auch so abgerufen, während Qualitätskriterien meist kaum eine Rolle spielen.

Betrachtet man die Bilder, so ist schwer vorstellbar, dass Männer die dort dargestellten Frauen wegen ihrer Schönheit und Makellosigkeit begehren, wie oft behauptet wird. Wirklich „lupenrein schön" sind die Darstellerinnen überwiegend in amerikanischen, französischen und italienischen Filmproduktionen, während in der Internet-Pornografie durchaus durchschnittlich aussehende Frauen dargestellt werden. Diese Frauen fallen nicht so sehr durch ihr Aussehen auf als durch ihre sexuelle Bereitwilligkeit - sie erfüllen sozusagen den Männertraum von der sexuellen „Verfügbarkeit".

Kehren wir zurück in die Realität, so werden wir finden, dass Männer gar nicht die „lupenrein schöne“ Frau suchen, und zwar weder für ein Abenteuer noch für eine Beziehung. Für die Lust ziehen Männer vielmehr die erotische Frau vor, die auch von sich aus die Initiative zur Verführung ergreift, während sie für Beziehungen eher die verlässliche Frau suchen.

In der Praxis ehelicher Schlafzimmer zeigt sich nun freilich, dass dem Wunsch der Männer nach Verführung kaum entsprochen wird: Frauen wollen, im Gegenteil, auch nach vielen Ehejahren noch verführt werden, und dies auch dann, wenn sie kaum etwas daran tun, attraktiv zu sein.

Das geht auf Dauer nicht gut: Der Verführer für die Frau wird heute noch gratis von außerhalb kommen, während der Mann sich aufs Bezahlen verlegen wird, wenn er sinnlich verführt werden will. Anzustreben ist dieser Zustand nicht, doch kommen wir auch an den Realitäten nicht vorbei: Die Foren im Internet sind voll von Beschwerden, dass Männer das erotische Interesse an ihren Frauen verlieren, während sich die Frauen auf das Heftigste dagegen wehren, aktive Verführerinnen zu werden.

Möglich, dass Pornografie den Blick vieler Männer verstellt – doch könnte es ebenso möglich sein, dass die moderne Frau, die vom „Heimchen am Herd“ durch mehrere Stufen der Emanzipation zur selbstbewussten Berufstätigkeit gegangen ist, die Fähigkeit, einen Mann zu verführen, verloren hat. Dann aber wäre nicht zu viel an Pornografie der Auslöser für das Gähnen im Ehebett, sondern zu wenig an Erotik.

© 2003 by sehpferd press
 

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