anstoss

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Was ich von diesem Buch halte, sage ich Ihnen, wenn mir jemand ein Rezensionsexemplar zukommen lässt - denn kaufen werde ich es auf keinen Fall. Also hier nur der Klappentext: „Auf der Basis der Beobachtung von Kommunikationsprozessen, leitfadengestützten Gesprächen sowie einer Gruppendiskussion mit Anbietern und Nutzern wird dargestellt, wie Weblogs in das persönliche Medienrepertoire eingebunden und zur Pflege von sozialen Beziehungen genutzt werden.“.

Ich kann mir nicht verkneifen, in diesem Zusammenhang auf diese äußerst kommunikationsbereite soziale Bloggemeinde hinzuweisen. (Danger – Not Safe for Work).

Wenn Sie wissen wollen, was ich eins liebte, was ich heute noch liebe, was ich schon zwei Mal von Ex-Freundinnen zurückgeholt habe und was ich dennoch nicht mehr besitze – ja wenn Sie das wissen wollen, dann sage ich nur „Komm“.

Nein, nicht Sie dahinten mit dem langen schwarzen Haar und dem verführerischen Lächeln. „Komm“ war nämlich der Titel eines „schicken Schlagers“ und gleichzeitig der Titel einer LP von Topsy. Damit niemand auf die Idee kommt, mir die Pkatte zu schicken: Ich schaffe gerade alle Platten ab. Aber die Lieder hätte ich so gerne – wenigstens noch einmal gehört, zum Beispiel dies:

Sagen Sie, Frau Zimmermann, bei wem lassen Sie quälen?
Ich frag' aus ganz bestimmten Gründen grad' bei Ihnen an,
bei wem lassen Sie quälen, foltern, martern?
Weil bestimmt ihr armer Mann eine Peitsche brauchen kann,
deshalb frag' ich Sie, Frau Zimmermann
.“

Liedertext (c) Georg Kreisler

Ähnlich „schick“ waren sie alle. Nun ja, jeder kriegt seinen Wunsch erfüllt in Alices Restaurant. Vielleicht ja sogar ich.

Das frisch übersetzte Judas-Evangelium, so heißt es dieser Tage, sei in „deplorablem“ Zustand angekauft worden, also in einem kläglichen Zustand – und es sei in keiner Weise sensationell, sondern spiegele lediglich einen Teil der Auseinandersetzungen wieder, die es nach dem Tod des Religionsstifters gegeben habe.

Von dem Wenigen, was wir wissen, ist dies am Sichersten: Keines der Evangelien ist von einem direkten Anhänger (also einem Jünger) des Religionsstifters aufgeschrieben worden – es scheint viel mehr so, als habe Markus sein Evangelium lediglich den Erzählungen des Petrus zu verdanken, der allerdings ein Augenzeuge war. Die beiden anderen „Synoptiker“ waren vermutlich nichts anderes als gute Abschreiber, die das erste Evangelium kopierten und auf ihre jeweilige Zielgruppe zuschnitten.

Das neue Evangelium hat also (wenn das Alter und die Herkunft korrekt bestimmt wurden) den gleichen Stellenwert wie die anderen Evangelien auch – ob es nun in kläglichem Zustand war oder nicht. Natürlich ist die katholische Kirche darüber ganz anderer Meinung.

Mein Thema der Woche - in einem neuen Licht, um verständlicher zu machen, was ich meine: Blogger - und ihre Art, mit dem Rest der Welt umzugehen.

Sicher ist nur eines. Das neue Medium „Blogs“ wirft neue Fragen auf. Angetreten ist es zunächst mit einer Idee: Eine einfach zu bedienende, tageweise aufrufbare Webseite, in die aktuelle Beiträge eingestellt und diskutiert werden können. Die Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen und darüber in eine Diskussion zu kommen, führte bald zu dem Begriff „soziale Software“.

Das Medium verbreitete sich schnell: Offenbar bestand (und besteht) ein Grundbedürfnis, entweder das eigene Leben nach außen zu tragen oder aber der Welt zu sagen, was man selber denkt. Dadurch entstand zweierlei. Zum einen der „öffentliche Mensch“, der selbst entscheiden mag, was er über seine Gefühle veröffentlichen sollte und was nicht, aber auch „der öffentliche Mensch und die Anderen“. Letzteres erwies sich als weitaus problematischer: Zwar kann ich mir auch als Person schaden, wenn ich mein eigenes Leben zu sehr im Web ausbreite, doch ich kann eben auch anderen Personen, Familien, Organisationen und Firmen, ja letztlich sogar dem Staat schaden, wenn ich Intimes oder Geheimes ausplaudere, was einen großen Unterhaltungswert haben mag, aber eben nicht zum öffentlichen Bereich gehören sollte.

Die Menschen, die Blogs schreiben, reagieren oft so, als ob sie im Sandkasten, im Familienkreis oder in der Kneipe sitzen: Sie reden (oder schreiben) wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das tägliche Leben ist voller Grenzfälle: Da wird viel beleidigt und schnell wieder verziehen, da wird Intimes ausgeplaudert und es verpufft einfach und da werden Gesetze, Verordnungen und Vorschriften auch mal überschritten und ebenso wenig ernst genommen wie die guten Sitten, die man auch als „ungeschriebene Gesetze“ bezeichnet – vor allem aber: Das meiste bleibt im kleinen Kreis. Der Schädiger kann sich einen Rüffel abholen, sich entschuldigen und es wieder „gut machen“, wenn der Schaden klein blieb. In Blogs kann man das meist nicht. Was man schreibt, wird von vielen gelesen und diskutiert, und es sozusagen „ungeschehen“ zu machen ist verdammt schwer.

Manche der Geschädigten reagieren gar nicht, wenn der Schaden nur gering ist: Schweigen ist die beste Methode, um auf Bloggerangriffe zu reagieren. Doch was, wenn der Schaden größer wird? Wenn Menschen persönlich angegriffen, beleidigt oder in ein falsches Licht gestellt werden? Wenn Liebeshändel, Familien- oder Firmenangelegenheiten (nicht Verbraucherangelegenheiten) plötzlich Gegenstand der öffentlichen Diskussion werden? Wenn Hexanjagden veranstaltet werden oder andere rufmordähnliche Kampagnen? Soll man sich dann weiterhin dem Mob des Webs beugen?

Fragen über Fragen. Wird David im Kampf gegen Goliath zum Heckenschützen? Ist David überhaupt ein guter Held und Goliath überhaupt ein böser Riese? Warum glauben die neuen Autoren eigentlich, die Moral sozusagen „gepachtet“ zu haben? Beweisen sie dieses Verhalten im Leben auch? Fragen eben – viele Fragen – und keine Antworten.

 

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