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Die Art, in der wir Wissenschaft betreiben, funktioniert auf eine höchst zweifelhafte Weise: Meist greifen wir auf die Antike zurück, in der wir ja ein kleines Repertoire von bereits Vorgedachtem finden. Nehmen wir also das "Ich". Nach allgemeiner Auffassung, der sich schwerlich widersprechen lässt, kann der Mensch zwischen sich selbst und seiner Umwelt unterscheiden - daher also das Ich.

Als Herr Freud auftrat, verdreifachte sich das ICH

So weit, so gut, jedenfalls bis Herr Freud kam, jener Herr, der missionarisch die menschliche Psyche erforschen wollte, und dies dann auch ebenso vehement wie schlampig tat. Jener also pfropfte dem Gedankengebilde schnell noch ein "Es" auf, das den wuseligen Urgrund symbolisieren sollte und, da dies immer noch nicht hinlangte, auch noch ein "Über-Ich" als regulierende Super-Instanz. Der heiligen Dreifaltigkeit nicht unähnlich, war das Ganze eher die Konstruktion eines fantasievollen Autors als das Forschungsergebnis eines Arztes, aber, nun ja, mit Präzision hatte es Herr Freud nicht so. Nachdem nun einmal klar war, dass Wissenschaft, wie Freud eindrucksvoll vorführte, keines eigentlichen Beweises bedufte, kamen dann auch Generationen von Nachahmern, die ihrerseits kühne und fast immer mit einem esoterischen Heiligenschein umkränzten Theorien vorschlugen, allen voran der unsägliche Carl Gustav Jung, dem die zweifelhafte Ehre gebührt, den Aberglauben in die moderne Wissenschaft eingebracht zu haben.

Moderne Menschenbilder finden kaum Eingang in die Psychotherapie

Die moderne Psychologie hat immerhin geschafft, den Begriff der psychologischen Dreifaltigkeit wieder auf das "Selbst" und schließlich auf die "Persönlichkeit" zu reduzieren, doch wollte man nicht weiter gehen. Eine der modernsten Wissenschaften nämlich, die Kybernetik (und die mit ihr verbundene Informationstheorie) entwirft nämlich ein ganz anderes Bild: Demnach ist für den Zustand der Psyche, soweit sie sich überhaupt geistig seelisch erfassen lässt (sie ließe sich nämlich auch biologisch-seelisch erfassen) eine Instanz im Gehirn zuständig, die wir als ein lebendes Modell der Wirklichkeit bezeichnen können. Je zutreffender die dort gespeicherten Informationen und je unproblematischer sie zur Verfügung stehen, umso besser funktioniert das Mensch-Umweltverhältnis und desto "gesünder" ist die Psyche. Selbstverständlich kann das Modell optimiert werden, zum Beispiel durch Lernen, aber es kann ebenso auch "gestört" werden, beispielsweise durch biochemische Einflüsse wie eine aufkeimende Liebe.

Psychoanalyse ist eine wissenschaftliche Untote

Selbstverständlich ist eine solche Erklärung der Psyche noch zu einfach, sind Details nicht zu Ende gedacht. Dennoch aber scheint ein solches Modell transparenter zu sein als das Gewusel von Ahnen, Kindheit und Tiefgrund, das sich letztlich niemandem öffnet als einem Psychoanalytiker.

Manche Zweige der Psychotherapie wissen um solche Modelle, die Mehrheit jedoch wird abwehrend die Hände heben: Was nicht sein kann, das darf auch nicht sein. Machen wir uns nichts vor: Die alte Tante Psychoanalyse ist die größte wissenschaftliche Untote, die unsere Universitäten pflegen.

Weitere Informationen zur Psychoanalysekritik: hier, mehr Kritik dann hier.
walküre meinte am 14. Aug, 16:55:
audiatur et altera pars ! kritisches hinterfragen ist unzweifelhaft notwendig, warum bleiben jedoch die positiven auswirkungen freud'scher erkenntnisse unerwähnt ? 
sehpferd antwortete am 14. Aug, 17:31:
In diesem Artikel ...
... werden sie nicht erwähnt. Der Artikel ist im Original auch ausdrücklich als "Essay" gekennzeichnet (leider habe ich das nicht hierher übertragen).

Ich hole aber eine positive Würdigung der Psychotherapie (nicht der Analyse) gerne später nach. Wenn ich vor einiger Zeit von meinem zeitweiligen Weggefährten Michael Lukas Moeller schrieb, dann war dies selbstverständlich mehr als nur eine Facette der Eitelkeit. 
 

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