anstoss

  sehpferdvs sehpferds magazin für anstöße und anstößiges
rosinentexte_500_x
Nehmen wir einmal an, man würde über das Friseurhandwerk in Deutschland berichten. Wäre der erste Anruf bei der Kriminalpolizei, um herauszufinden, wie viele Betrugsfälle es beim Schneiden und Föhnen gegeben hat? Oder beim Gesundheitsamt, um festzustellen, wie viele Friseurinnen den Chemikalien nicht standhielten, die in diesem Gewerbe verwendet werden? Oder etwa die örtliche Caritas-Beratungsstelle, um zu ermitteln, wie viele Frauen diesen Beruf nicht ertragen können und vorzeitig aufgeben? Oder das örtliche Büro der Feministinnen, um sich darüber klar zu werden, ob der Beruf mit der Würde der Frau vereinbar ist? Wären die Informationsquellen das Hörensagen oder die Seifenoper? Natürlich nicht. Man würde eine Recherche machen, gründlich nachfragen, die Handwerkskammer anrufen, in die Ausbildung hineinsehen, Vor-Ort-Termine wahrnehmen, Gespräche mit den Meisterinnen, Gesellinnen und Lehrlingen führen, Kunden befragen und sich letztendlich auch mal selbst in den Stuhl setzen.

Das ist doch selbstverständlich? Nicht bei Huren. Wer etwas über ihr Gewerbe wissen will, nutzt die Quellen, die ihm gefällig sind: Natürlich die Kriminalpolizei, natürlich die Gesundheitsbehörde und dazu ebenso „natürlich" noch Sozialarbeiter(innen), von den anderen obskuren Quellen einmal ganz abgesehen. Besonders das Hörensagen scheint es den Berichterstattern da angetan zu haben: „Milieu, Rotlichtdistrikt, Drogenstrich": eine frierende Frau, die dennoch mit kurzem Rock im Winter am Straßenrand steht, um Geld für den nächsten Schuss zu haben: Das rührt den Leser.

Natürlich ist es nicht einfach, korrekt zu recherchieren. Die Hure hat keine Kammer, bei der man sich nach den groben Fakten erkundigen kann, keine Gewerkschaft, die Auskunft über die Tarife gibt und keinen Ausbildungsplan - und Huren sind nicht wirklich redselig, wenn es um ihren Beruf geht - viele haben schlechte Erfahrungen mit der Presse.

Das Problem beginnt schon, wenn man sich fragt, wer denn eine Hure ist: Das Straßenmädchen und die Mieterinnen im Bordell werden noch am ehesten als Huren identifiziert. Doch dann hört es schon auf. Teilzeithuren, Studentinnen im Begleitservice und Hausfrauen mit Nebenverdienst treten kaum jemals in die Öffentlichkeit - sie haben etwas zu verlieren, wenn sie ihre Doppelrolle auf Dauer spielen wollen. Doch nicht nur „Prostituierte" arbeiten in der Lustwirtschaft: Da wäre die Damen, die bei Anruf Lust versprechen, die Internet-Damen, die sich per Mausklick ansprechen lassen und vor allem jene Damen, die als „Peitschenladys" bekannt geworden sind.

Die bürgerliche Welt hat sich darin eingeübt, all diese Frauen zu verdammen, während die Gutmenschen das grausame Schicksal der Huren beklagen und Geld für ihre „Wiedereingliederung" in die Gesellschaft sammeln. Das Bild, das dann an die Öffentlichkeit kommt, stiert vor Blut, Schweiß, Tränen, Schlägen und sozialem Abstieg. Das mag gelegentlich zutreffen, aber die Wahrheit ist es deswegen nicht. Eine „bessere" Hure verdient am Tag im Schnitt etwa so viel wie eine Dreizimmerwohnung an Kaltmiete kostet und selbst über diesen Betrag lächeln noch viele: Nun ja, es gibt so unterschiedliche Dreizimmerwohnungen wie es unterschiedliche Huren gibt.

© 2003 by sehpferd press

Buchempfehlung
 

Add to Technorati FavoritesMy Popularity (by popuri.us)

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma