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Ich will vorausschicken, dass ich das Buch "Blogs!" weder gelesen habe noch jemals lesen werde. Es geht auch gar nicht um das Buch, sondern um das Umfeld. Die Autoren, „Don Alphonso“ und Kai Pahl, haben an sich das einzig Richtige getan: Sie haben mit der brotlosen Kunst „Blogging“ versucht, Geld zu verdienen. Sie werden auf sehr lange Sicht vermutlich zu den wenigen gehören, die Profit aus der Sache ziehen.

Mir ist absolut unklar, wie sie es geschafft haben, im Rahmen der „Berliner Literaturtage“ eine Veranstaltung bekommen zu haben. Webtagebücher sind bestenfalls Zeitgeschehen, aber keine Literatur und die kurzlebigen Computerbücher verdienen schon gar nicht, „Literatur“ genannt zu werden. Doch das gehört wohl zu der mittlerweile ausklingenden Epoche des „alles geht“. Natürlich geht so etwas nicht. Dampf ist keine Suppe.

Was zur Veranstaltung zu sagen war, hat treffend die Berliner Morgenpost beschrieben. „Ein fröhliches Klassentreffen“ nannte es die Journalistin Nina Apin (ich schrieb bereits darüber), und das war es wohl auch: überwiegend schlechte vorgetragene Texte schlechter Autoren. Wer nicht dabei war, wie ich, ist auf das Hörensagen angewiesen. Doch wenn ich lese, wie es aus der Sicht der Autorinnen und Autoren zugegangen ist, dann bekommt man eine Ahnung, dass die Veranstaltung in Wahrheit noch schlechter war: Schülertheateraufführung.

Das Schlimmste an allem aber ist dies: dererlei Veranstaltungen sind Gift für Blogger. Da machen ein paar Menschen in ihrer sinnlosen, unproduktiven und letztendlich zerstörerischen Eitelkeit negative Werbung für Blogs - und das ist so ziemlich das Letzte, was wir brauchen können.

Wir brauchen in Deutschland Blogger, die tatkräftig an der Zukunft arbeiten. Sie müssen innovativ sein, und aus dem, was sie tun, müssen synergetische Effekte entstehen. Wenn sich mit Blogs selbst kein Geld machen lässt, so muss sich mit den Potenzialen, die hinter den Blogs stehen, eine Wertschöpfung erzielen lassen, ansonsten ist das Ganze ein Tanz ums goldene Kalb – und keine ernst zu nehmende Beschäftigung.

Dazu haben wir freilich die falschen Fürsprecher, und, schlimmer noch, die falschen Gegner. Die Freunde? Die Bit- und Bytefreaks sind nur dazu da, um unsere Straßen in Ordnung zu halten, nicht aber, um für uns zu sprechen. Die Vielwörterschreiber, auch die bisweilen Interessanten, gehören in die Kategorie der Modelleisenbahner und Aquarienfreunde, aber nicht in die der Innovatoren. Die Gegner? Professionelle Journalisten müssen gegen uns sein, weil wir ihnen ihr Brot wegnehmen. Das würde sich ändern, wenn wir ihnen Brot geben könnten. Die Wirtschaft ist (häufig) unser Gegner, weil zu viele von uns das Wirtschaftssystem anzweifeln und weil wir unter uns eine Menge Leute haben, die man getrost als kommunistische Agitatoren bezeichnen kann. Die Wirtschaft würde uns, wie ich meine, unterstützen, wenn wir sie endlich respektieren würden.

Ich, für meinen Teil, blogge weiter. Aber ich mache mir mehr Gedanken. Es ist nicht gerecht, einem anderen das Brot fortzunehmen.
slowburn meinte am 31. Okt, 11:03:
das hier »Wir brauchen in Deutschland Blogger, die tatkräftig an der Zukunft arbeiten. Sie müssen innovativ sein, und aus dem, was sie tun, müssen synergetische Effekte entstehen. Wenn sich mit Blogs selbst kein Geld machen lässt, so muss sich mit den Potenzialen, die hinter den Blogs stehen, eine Wertschöpfung erzielen lassen, ansonsten ist das Ganze ein Tanz ums goldene Kalb – und keine ernst zu nehmende Beschäftigung.« darf ich aber schon als satire verstehen, oder?
im übrigen war berlin natürlich ein klassentreffen - mit dem buch wird keiner reich, selbst wenn es monatelang auf der bestsellerliste stünde. 
sehpferd antwortete am 31. Okt, 11:14:
Es ist ...
absolut ernst gemeint. Setzen sie bitte für "Blogger" einmal "Programmierer" oder auch "Handwerker" ein, dann ist die Sache schlüssig. Warum sollte sie mit "Blogger" nicht schlüssig sein? 
miss.understood meinte am 31. Okt, 18:20:
herr sehpferd.
alles von ihnen geschriebene basiert auf dem, was sie anderswo gelesen haben. es wurde negatives über die lesung geschrieben und auch positives. sich die meinung anderer darüber anzuhören ist aber nicht wirklich eine grundlage für eine eigene meinung. schon gar nicht, wenn man nicht dort war und einfach nichts darüber sagen kann, welches gefühl man vor ort hatte.

und zu "...veranstaltungen sind gift für blogger": wie kommt man auf so eine idee ?? eine handvoll leute, die einfach spass daran haben, ihre meinung, ihre gefühle, ihr leben oder auch nur ihre langeweile in einem blog schriftlich festzuhalten, wurden darauf angesprochen, ob man ein paar ihrer texte nicht in ein buch drucken dürfe. und ein paar von denen hatte dann den mut, sich auf eine bühne zu setzen und ihre texte dort auch noch vorzulesen.

sie gaben ihre anonymität auf und sie machten sich angreifbar. geschmäcker sind verschieden und man muss damit leben, dass einem nicht alle lieben können. aber wenn man sich auf eine bühne setzt und vorliest, was man einfach nur aus spass macht, weiss man auch, dass man sich damit dem aussetzen muss, was leute sich drumherum zusammenschustern. auch wenn sie gar nicht da waren. auch wenn sie das buch gar nicht gelesen haben. auch wenn sie eigentlich sagen sollten "muss ich mich erst ein wenig informieren, bevor ich ein urteil fälle".

nicht für ihre texte und nicht fürs vorlesen, sondern einfach nur für ihren mut haben diese leute meinen vollen respekt. 
sehpferd antwortete am 31. Okt, 19:02:
Das ist ja ...
... nun eine sehr lange Replik auf das, was ich geschrieben habe, und ich denke nicht, dass ich auf alles eingehen kann.

Der Hauptunterschied zwischen Ihnen und mir ist doch der: Ich schreibe über das Zeitgeschehen, und sie (und viele ihrer Blogger-Freunde und Freundinnen) repräsentieren das Zeitgeschehen.

Für mich ist dabei völlig unerheblich, wer sich wann, wie und wo auf welche Bühne setzt und was er oder sie dabei fühlt, sondern allein dass es geschieht.

Fragen Sie sich doch einmal selber, welchen Eindruck die Öffentlichkeit durch solche Veranstaltungen bekommt - und dann fragen sie sich bitte im nächsten Schritt, ob dies der Eindruck ist, den man in der Öffentlichkeit erreichen wollte.

Ich weiß nicht, zu welcher Antwort sie kommen. Meine Antwort kennen sie ja schon. 
miss.understood antwortete am 31. Okt, 19:15:
der hauptunterschied zwischen uns ist,
dass sie unheimlich viel nachdenken, ergründen, begründen und analysieren und ich gern mache, was mir spass macht und auslasse, was ich nicht will. ich bin zb in dem buch und war aber nicht in berlin. weil ich nicht wollte. ich wollte nicht lesen und ich wollte nicht dabei sein. weil, nun ja, ich will einfach nur irgendwas aufschreiben, wenn mir danach ist. wie man das nennt oder wohin man das einordnet, ist mir ehrlich gesagt komplett egal. diese ganze vergleiche zwischen blogs und journalismus sind mit egal. hab ich noch nicht einmal drüber nachgedacht. ich hab kein ziel, nur eine richtung. vielleicht sogar eine ständig wechselnde richtung.

und jetzt kommts: ich halte es für möglich, dass andere ähnlich ticken.

welchen eindruck die öffentlichkeit erhält ? die menschen gehen zu einer veranstaltung und fühlen sich dort unterhalten oder auch nicht. haben dort ihren spass oder auch nicht. fühlen sich dort wohl oder auch nicht. zwanzig verschiedene menschen gehen dort mit zwanzig verschiedenen eindrücken raus. ich persönlich hätte nicht den drang, einen bestimmten eindruck zu erwecken. ich wäre einfach froh, wenn die leute sich eine eigenen meinung bilden. das ist dann ja schon mehr, als die meisten meistens machen, na ?

unter strich ist es einfach nicht wichtig. weil der ansatz in meinen augen falsch ist. "blogger". da fasst man die tätigkeit vieler menschen zusammen. was machen sie ? sie bloggen. folglich sind sie blogger. aber damit wär dann die gemeinsamkeit auch schon wieder beendet. weil die ansätze ganz unterschiedlich sind, die motive, der ausdruck und natürlich und in allererster linie auch die person dahinter. du liest etwas und entweder fühlt es sich gut an und du hast spass oder auch nicht. wenn du es magst, lies weiter. wenn du es nicht magst, lies andernorts.

der ganze wirbel drumherum ist heisse luft und unnötig. die dinge fangen dann an problematisch zu werden, wenn man den spass versucht zu erklären. denn dann ist es in den meisten fällen vorbei. 
sehpferd antwortete am 31. Okt, 19:24:
Ich denke da sehr einfach ...
und ich sagte es bereits: sie schreiben nicht nur recht gute Unterhaltung, sonden haben eine bestimmte Form des Bloggens im deutschsprachigen Raum entscheidend mitgestaltet.

Das ist wirklich das Einzige, was ich Ihnen noch sagen kann, und ich kann Ihnen weiterhin viel Freude dabei wünschen.

Vielleicht lese ich ja demnächst einmal ein Buch von Ihnen - und sie werden es nicht glauben: dazu wünsche ich Ihnen schon jetzt viel Glück und Erfolg. 
june antwortete am 1. Nov, 11:53:
verzeiht meine einmischung
nur eine spontane assoziation zu:

"Fragen Sie sich doch einmal selber, welchen Eindruck die Öffentlichkeit durch solche Veranstaltungen bekommt - und dann fragen sie sich bitte im nächsten Schritt, ob dies der Eindruck ist, den man in der Öffentlichkeit erreichen wollte."

"aber kind, was sollen denn die nachbarn denken!" 
sehpferd antwortete am 1. Nov, 12:01:
Oh, über wen ...?
... meine Nachbarn sind so selten zu Hause ... 
sehpferd antwortete am 1. Nov, 12:31:
Da bin ich ...
100 Prozent falsch verstanden worden. Mir ist piepschnurzegal, wie die Öffentlichkeit über die Enthüller(innen) ihres Privatlebens denken - jedenfalls solange, wie sie bereit sind, daraus auch mögliche Konsequenzen zu tragen.

Nein, nein ... stellen sie sich mal vor, die Bäckerinnung hätte einen Informationstag zum professionellen Backen veranstaltet, und hernach hätte die Presse geschrieben, das sei ein "Klassentreffen" gewesen. 
shhhh meinte am 4. Nov, 18:07:
Ich finde,
Sie übertreiben. Die Lesung war OK, die Blogwelt dreht sich weiter, und der Rest weiß nicht mehr und nicht weniger über "Onlinetagebücher", als vorher auch. 
sehpferd antwortete am 4. Nov, 20:38:
Freilich
... übertreibe ich ein klein wenig.

Drei Gedanken:

1. Die Lesung mag "O.K." gewesen sein, hat aber dennoch eine schechte Presse bekommen. Dann war sie nicht gut, denn sie sollte als PR-Veranstaltung dienen.

2. "Die" Blogwelt gibt es schon lange nicht mehr, wenn es sie denn jemals gab. Es gibt vielmehr viele Kommunikationswelten, in denen unter anderem auch gebloggt wird.

3. "Der Rest" kann auch als "Leserschaft, die nicht erreicht wurde und auch in Zukunft wohl nicht erreicht wird" bezeichnet werden. (Siehe Gedanke eins). 
 

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