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Wie will die Christenunion eigentlich dem Bürger verkaufen, dass es „sozial gerecht“ ist, wenn ein armer Deutscher exakt den gleichen Beitrag für die Krankenversicherung bezahlen muss wie einer, der einen Betrag von unter 200 Euro aus der Portokasse nimmt?

Es scheint, als hätte die Merkel-Truppe im Bundestag jede Art von Maßstäben verloren. Das, was die Christenunion da plant, ist, mit einem Wort, ein Verrat an mosaischen und christlichen Werten – von der Unverfrorenheit, mit der es begründet wird, einmal ganz zu schweigen: O-Ton Frau von der Leyen (CDU-Sozialministerin, Niedersachsen): „Wir müssen die Gesundheitskosten von den Lohnkosten abkoppeln, sonst geht noch mehr Beschäftigung verloren und die Sozialabgaben steigen immer weiter“. Obwohl daran vielleicht etwas wahr sein könnte, ist dies keine erträgliche Aussage zur Sozialpolitik mehr – von ihr erwarten wir, dass sie uns Lösungen für soziale Probleme aufzeigt und nicht, wie sich die Wirtschaft sanieren ließe.

Aber noch etwas wird deutlich: Das Gesundheitswesen kostet Geld, und wer, bitte, hat denn die Gesundheitskosten überhaupt noch unter Kontrolle? Will uns die CDU etwa weismachen, dass der angestrebte Betrag so bleibt? Das hieße doch, das Volk für dumm zu verkaufen: Dieser Betrag wird steigen, weil es keine Regierung wagen wird, den am Gesundheitswesen Beteiligten eine wirkungsvolle Kostenbremse zu verpassen. Die Vergangenheit beweist, dass die vereinte Lobby der (gutwilligen wie böswilligen) Gesundheitsprofiteure noch immer gesiegt hat.

Für dumm verkauft werden wir gleich zweimal: Es gibt kein sinnvolles Steuerausgleichsmodell für die Krankenversicherung – spätestens in ein paar Jahren wird man neue Sorgen haben und die Steuern wieder „irgendwie“ anders regeln – und dann ist der „Sozialausgleich“ längst Schnee von gestern.

Da ist der Herr Stoiber ein bisschen schlauer: Der weiß nämlich noch, was einfache Leute für gerecht halten: damit gewinnt er schließlich in Bayern seine Wahlen.
Salvatore meinte am 21. Okt, 10:42:
Krankenversicherung
Weder die Regierung noch die CDU haben einen halbwegs vernünftigen Plan für die Lösung der zweifellos vorhandenen und leider sehr großen Probleme im Gesundheitswesen. Man sollte mal in Betracht ziehen, dass man die Sache eventuell gar nicht planen kann. Gehen wir doch mal anders an die Sache ran. Muss das Gesundheitswesen eigentlich Sache des States sein? Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, weil das ein lebenswichtiges Gut ist. Ok, Essen und Trinken ist auch lebenswichtig, aber deshalb ist die Nahrungsmittelindustrie noch lange nicht in staatlicher Hand. Wenn das so wäre, wären wir vermutlich eh schon fast verhungert.
Was haben Krankheitskosten eigentlich mit dem Gehalt des Kranken zu tun? Sollen Bäcker demnächst den Brotpreis auch nach dem Verdienst ihres jeweiligen Kunden berechnen? Das mag einem unsinnig und nicht machbar erscheinen, folgt aber der gleichen Logik.
Es gab übrigens durchaus Staaten, die den Preis für Nahrungsmittel staatlich verordnen wollten, z. B. Tansania. Das Resultat war eine Hungersnot. Es ist immer das Gleiche. Trotzdem mögen wir uns einfach nicht vom großen Plan verabschieden.
Sozial gerecht ist, wenn ich etwas bezahle und einen angemessenen Gegenwert dafür erhalte. Alles andere ist ein weiterer Schritt in Richtung Pleite.

Ciao
Salvatore 
sehpferd antwortete am 21. Okt, 21:22:
Dass Gesundheitswesen muss natürlich nicht Sache des Staates sein – es ist es, im Übrigen, auch in Deutschland nicht. Nur will der Staat (aus gutem Grund, denke ich) dass sich die Bürger gegen den Krankheitsfall ausreichend versichern, und zwar in einer sozial gerechten Art und Weise.

Das hat jahrzehntelang ausgezeichnet funktioniert, und niemand hat dagegen zu meckern gewagt – und es gibt wahrhaftig keinen Grund, warum man das alte System nicht erneut zum Laufen bringen sollte. Auf die Art kann nämlich der junge Azubi wie auch die schwangere Ehefrau des Industriearbeiters mit einer guten Gesundheitsfürsorge rechnen – das ist schließlich das Ziel.

Wie auch immer: Ihr Kardinalfehler liegt in der Behauptung, unser Gesundheitswesen sei „staatlich“. Das ist, wie auch sie es sicher wissen, nicht der Fall. Und bitte, ziehen Sie auch die andere Seite der Medaille in Betracht: die so genannte „private“ Krankenversicherung, sprich, die profitorientierte Krankenversicherung, ist für Paare mit Kindern ab einem gewissen Lebensalter unbezahlbar. Man darf sich nicht immer von den Lockvogelangeboten in der Werbung beirren lassen.

Nein, nein: Bei den Gesundheitskosten bedarf es der staatlichen Aufsicht – und einer sozialen Komponente. Die Welt besteht nicht nur aus Versicherungsvertretern und ihren Meinungen. Sie dürfen sich sicher sein, dass ich weiß, wovon ich rede. Ach, und noch etwas: Ich würde zu den Profiteuren von Frau Merkels Vorschlag und zu den benachteiligten des CSU-Vorschlags gehören. 
Salvatore antwortete am 22. Okt, 11:39:
staatlich?
So einfach geht es nicht. Natürlich ist das Gesundheitswesen nicht staatlich, will heissen, die Ersatzkassen gehören nicht dem Staat, sondern sind eigene Organisationen. Aber die Regeln für den Umgang mit Ihnen sind staatlich, oder sagen wir von mir aus hoheitlich. Nicht-staatlich sind sie nur im engen Sinn, und den können wir im Augenblick in Deutschland nicht gebrauchen. Der Umstand, dass etwas sehr lange in der Vergangenheit funktioniert hat, bedeutet nicht, dass es auch in Zukunft funktioniert. Dieser Fehlschluss wird in Deutschland gern gezogen und ist Teil unseres Problems, nach dem Motto: War immer so, war gut so, muss dann auch so bleiben.
Es kann aber nicht so bleiben. Unser ganzes Sozialsystem steht vor dem Kollaps. Es gibt immer mehr Leistungsempfänger und immer weniger Leistungserbringer. Der oft beschworene soziale Ausgleich führt dazu, dass es reizvoller ist, auf der Empfängerseite zu sitzen. Irgendwann sitzen wir dann alle da. Soweit sind wir von dieser Situation gar nicht mehr entfernt.
Versicherungsvertreter interessieren mich übrigens gar nicht. Wenn der Staat die Leute unbedingt gängeln muss, und die Leute unbedingt der Meinung sind, gegängelt werden zu müssen, gäbe es immer noch die Möglichkeit, die Sozialversicherung wie die Kfz Versicherung zu organisieren: Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung. Auf diese Art entstünde auch eine Konkurrenzsituation im Gesundheitswesen. Und wir wissen ja, welche Auswirkungen das auf Preise haben kann.
Unser Problem ist, wir denken immer nur in den Kategorien, die wir schon kennen. Deshalb gelingen uns auch bei allen Reformbemühungen nur allerkleinste Würfe. Alles, was das übliche Schema verlässt, macht Angst, zumindest in Deutschland. Deshalb sind wir auch auf dem absteigenden Ast. Es geht uns zwar noch gut, aber nur, weil wir Substanz verfrühstücken, die vor langer Zeit gebildet wurde.
Für mich persönlich sind die Vorschläge alle gleich schlecht. Von Beruf bin ich Musiker, bin nicht KSK Mitglied, sondern regle meine Belange allein. Finanziell würde das Ganze für mich keinen großen Unterschied machen, Zwangsmitgliedschaften finden nicht meine Zustimmung (der Kfz Versicherung kann ich entgehen, in dem ich kein Kfz habe). Ich wundere mich wie bereitwillig sich die Deutschen mit jeder Form der Gängelung abfinden. Abgesehen davon, dass alle großen Regulierer auch noch bemerkenswert erfolglos sind. Vielleicht muss es ja noch ein wenig schlechter werden, bevor man gewohnte Bahnen verläßt.

Ciao
Salvatore 
sehpferd antwortete am 22. Okt, 19:18:
Danke
... für die gute Diskussion. Weiter führen will ich sie hier freilich nicht. Wie immer, nehme ich einen neuen Faden auf und stelle ihn in einen anderen Beitrag.

In einem Punkt kann ich nicht zustimmen: "Wie sich die Deutschen mit jeder Gängelung abfinden". Waren sie schon einmal in Skandinavien? Dort wird bei weitem mehr "reguliert" als in Deutschland - und die Menschen dort gehen damit sogar noch sehr diszipliniert um und sagen: Ja, so ist es Recht, warum nicht, das machen wir jetzt einmal so. 
 

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