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Auch im so genannten „Groschenroman“ findet der Wertewandel statt – allerdings in „kleinen Dosen“, stellt. Sagt Elfie Ligensa, Cheflektorin bei Bastei, der Berliner „Morgenpost“. Ansonsten muss man sich dort um die Dosen keine Sorgen machen. Das Geschäft brummt. Der Wertwandel zeige sich, so die Lektorin, unter anderem darin, dass Frauen nun nicht mehr gleich sterben müssten, wenn sie sich trennen wollten – Scheidungen seien schon mal „drin“.

Krisenzeiten sollen angeblich gut sein für Groschenhefte – und deswegen würden jetzt so viele verkauft. Doch auch die Wiedervereinigung brachte offenbar einen neuen Boom – der Traum vom großen Glück muss eben wahr werden – und sei es beim Lesen der Groschenhefte.

Allzu viel Sex ist freilich immer noch nicht drin. Das Zielpublikum, überwiegend Frauen, läse aber auch schon mal Erotik – „Tiffany" heißt das einschlägige Produkt des Cora-Verlages. Bastei will davon nichts wissen. Man sei damit nur „auf die Schnauze gefallen“.

Dazu fallen mir noch zwei Gedanken ein. Der Erste: glückliches England. Dort gibt er erotische, aber auch sadomasochistische Internatsliteratur in Hülle und Fülle – vermutlich eine bittersüße Erinnerung an die Zeiten, als noch der Rohrstock die Zucht sicher stellte und lesbische Beziehungen in aller Stille trotz Verbots lebhaft vollzogen wurden. Die Autorinnen wurden eine Zeit lang verdächtigt, Männer zu sein, was sich als falsch erwies. Wie man sieht, gibt es einen Markt für weibliche erotische Literatur. Er muss nur gefunden werden.

Das Zweite: der Kampf gegen die Groschenliteratur, gegen Schuschmu, wie man in meiner Jugend sagte, also Schund und Schmutz. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Also, am liebsten wäre unseren Lehrern ja gewesen, wir hätten Goethe, Schiller und „gute Jugendbücher“ gelesen und wären emotional so geworden wie Albert Schweitzer. Wollten wir aber nicht. Wir wollten Micky Maus und Jerry Cotton lesen.

Es scheint, seither habe sich wenig geändert. Längst hat der Groschenroman seinen festen Platz im Fernsehen: die Seifenopern, die selbst von den „öffentlich-rechtlichen“ Anstalten überreichlich gesendet werden. Das Volk will die schöne Illusion. So weit, so gut. Nur dass immer mehr junge Menschen die schöne Illusion mit der Realität verwechseln. Das Leben ist hart, aber eben ganz anders hart. Und es ist schön. Aber eben ganz anders schön.
 

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