anstoss

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Ein Artikel beim Schockwellenreiter (ja, er ist noch auf meinem Feedreader) brachte mich auf die Webseite vom „Netzwerk Selbsthilfe“ – kolossale Idee gewesen, das Ganze. Damals - als jede Initiative, die in Berlin war, noch ne tolle Initiative war, nur weil sie in Berlin war. Aber dann kam erst mal die Wiedervereinigung, und mit ihr zerbröselte die ganze Inselherrlichkeit – nun war man wieder ganz normale Hauptstadt. Tja, Freunde vom Netzwerk – die alten Zeiten sind vorbei – da könnt ihr die rasende Sau noch so lange im Logo führen – doch eure Sau, die rast nimmermehr.

Ich habe interessiert vernommen, dass es bald Stadtwikis geben soll – und Karlsruhe hat wohl schon dergleichen. Allerdings ist das Problem bei städtischen Seiten, Stattzeitungen, Städteblogs, den üblichen Touristenseiten und vielleicht auch Stadtwikis ja doch wohl dies: Der Kulturtourist will etwas anderes wissen als der Gourmettourist – oder schlicht: Was will man eigentlich von einer Stadtseite, einem Stadtblog oder einem Stadtwiki? Eigentlich immer das Gleiche: Informationen, Informationen, Informationen.

So: Und die muss erst mal jemand beschaffen. Veranstaltungen kann man ja noch irgendwo abschreiben, aber welche Taxis man auf keinen Fall nehmen darf, wo die Jugendstilgebäude sind, wo man für 200 Euro schlecht übernachtet oder wo es interessante Damen der Nacht gibt – das muss man erst einmal herausfinden. Wobei es mir nicht auf die Damen der Nacht ankäme: In Budapest zum Beispiel gibt es noch nicht einmal einen Jugendstil-Architekturführer.

Die Wikis in Ehren: Aber so einfach ist es nun ja wieder nicht, die Informationen über die Städte wirklich aktuell zu halten

Grausig gar waren die magischen Vorführungen der Vergangenheit: Da wurden Damen auf offener Bühne mit Degen und Messern durchbohrt, in dem einen oder anderen Fall gar in zwei Hälften zersägt – und eben bisweilen auch auf der Bühne geköpft.

Da strömte das Publikum, um die grausigen Taten an (wenigstens auf den Plakaten) spärlich bekleideten Frauenleibern zu sehen – ach ja, das waren noch Zeiten, als dem Publikum noch das Blut in den Adern gefror, wenn der große Harold das Schwert schwang, und das Kunstblut in Strömen floss, während hinter der Bühne ein kläglich-gurgelnder Schrei ertönte.

Doch was sah das staunende Publikum am Ende? Nicht eine winzige Stichwunde blieb von des Messers scharfer Spitze, die Unterleiber fügten sich wieder mit den Oberteilen zusammen und selbst die Köpfe wuchsen auf den Hälsen wieder an.

schauderhaft

Früher waren die Dinge einfach: Weibliche Personen konnte man in den ländlichen Gegenden und Vorstädten noch generell als „Deerns“ bezeichnen, und „die Deern“ konnte noch die Tochter oder die Bürohilfe sein – und wenn man unter sich war, dann waren „Deerns“ eben alle Fruenslüd* überhaupt, die noch diesseits der Vierzig waren. Das galt sogar noch in den 60er Jahren, wenigstens dort, wo man noch Mischings* sprach.

Nach und nach, vor allem im Stadtteil Schwachhausen* und bei den besseren Bürgersfrauen anderwärts kam sowohl die Bezeichnung „Deerns“ wie auch „die Deern“ und „Min Deern“ in Verruf, und auch der statt dessen gebrauchte hochdeutschen Monsterbegriff „Mädchen“ wurde nicht mehr gerne gehört: Statt „Sach mal dem Mädchen in der Zentrale“ musste man nun sagen: „Sagen Sie bitte der Dame in der Zentrale“, auch, wenn die gar keine Dame war sondern bestenfalls eine Frau vom Buntentor*.

Na gut, dann eben keine Deerns mehr und keine Mädchen. Vor allem aber keine Weiber, wie die Jugend im Unterschichtjargon sagte. Frauen? Ja, das könne man sagen, aber manche Frauen seien eben Damen, darauf müsse man achten. Also Damen? Irgendwie auch nicht, denn manche von ihnen sind einfach Frauen. Außerdem, so wusste man, kam es sehr darauf an, ob man „Damen“ mit hellem „a“ oder mit dunklem „a“ aussprach. Die mit dem hellen „a“ waren die Damen der Gesellschaft, die mit dem dunklen die „Damen des Gewerbes“, wie man noch zurückhaltend sagte.

Na schön. Und wie verallgemeinere und wie differenziere ich nun? Mit „weiblichen Personen“? Ach du lieber Schreck. Dann schon lieber mit Frauen. Sage ich „junge Frauen“, dann denken die Leute an Frauen zwischen 20 und 30 – da stimmt die Sache vielleicht noch. Wenn ich aber ganz junge Frauen meine? Ich darf nicht wagen, die „Fräuleins“ zu schreiben oder gar „Jungfern“, also schreibe ich „junge Mädchen“? Das sind dann die 13– bis 21-Jährigen. Eigentlich sind es dann ziemlich alte Mädchen, nicht wahr? Ich staune – die noch jüngeren heißen „kleine Mädchen“ – „das ist noch nichts für kleine Mädchen“ sagt dann die Mutter. „Alte Mädchen“ sind als Begriff auch schon besetzt und „große Mädchen“ waren einst solche, die vom Schulmeister oder den Eltern gelobt wurden, inzwischen etwas gescheiter geworden zu sein. Schulmädchen? Um des Himmels willen – nur nicht, da komme ich in Konflikt mit alle jenen, die bei „Schulmädchen“ gleich Hintergedanken haben – schließlich können „Schulmädchen“ auch jünger als 13 sein. Überhaupt – Mädchen. Sächlich, Singular und Plural. „Die kleine Magd“, das Mägdelein – der Begriff zeugt nicht gerade von Respekt und ist am besten noch beim „Hausmädchen“ aufgehoben.

Ach, sie dachten gerade, dafür gäbe es doch Begriffe? Früher ja. Da sagte man noch „Backfische“ – symbolisch für Frauen also, die man besser ins Wasser zurückwarf, als sie zu fangen. Das sind heute eben die „Teenager“ – ein selten blödes Wort, weil es keine Beziehung zur deutschen Sprache hat. „Zehntalte“ wäre etwa die korrekte Übersetzung, also Frauen, deren Alter auf „zehn“ endet.

Wissen sie was? Am liebsten würde ich wieder „Deerns“ sagen – für alle unter 50. In angelsächsischen Ländern ist es zwar flapsig, aber populär, „Girls“ zu sagen – Mädchen eben. Verflixt – und ich, ich habe immer noch kein Wort gefunden.

Wie soll ich euch denn nun nennen, Deerns?

Begriffe:

Deern – Niederdeutsch für Mädchen, auch generell für junge Frauen
Fruenslüd – Frauen, Niederdeutsch
Mischings – Sprache aus Hoch- und Niederdeutsch, mit englischen Wörtern vermischt
Schwachhausen – vornehmes Wohnviertel in Bremen
Buntentor – Arbeiterviertel in der Bremer Neustadt

 

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