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Einmal das, was ich zu all diesen Rückblicken sage: Dass wir immer noch "klassische" Musik hören, spricht für die Klassiker – und gegen uns. Es bedeutet nämlich auch, dass wir unserer Kultur nicht folgen, sondern sehnsuchtsvoll in eine vergangene Epoche zurückblicken, deren Zeitgeist uns im Grunde gestohlen bleiben kann – wollten sie in Mozarts Zeit leben? Ich nicht.

Dialog auf der Fahrt zu einem Schullandheimaufenthalt zwischen meinem Klassenlehrer und mir. Den Satz, den ich oben verwendete, kannte ich auch schon damals. Die Antworten sind immer die Gleichen: Ja, aber da kommt es her, ja, aber wir müssen unsere Traditionen wahren, ja, es gibt sie, die unvergängliche Musik. Und dann: Versuch es doch einmal mit Mozart. Da haben wir es: Mozart, leichter Einstieg, schwerer Abgang. Versuch es doch mal mit Mozart. Ich habe es nie mit Mozart versucht. Warum auch?

Am Ende des Jahres 2006 werden wir alle mit Mozartsüßigkeiten verklebt und mit Mozartschwere erdrückt sein. Rundfunk- und Fernsehmoderatoren werden uns diesen Mozart um die Ohren hauen, bis wir erschöpft die Austaste gefunden haben.

Sehen sie, meine Leserinnen und Leser: Alles kann zu einem abscheulichen Gedudel werden, wenn es uns ständig in die Ohren geblasen wird. Falls sie es nicht glauben: Denken sie einmal daran, was die Musiklehrer, vor allem die Fernsehleute. mit unserem Volksliedergut angestellt haben. Das war auch einmal schön. Genau wie Mozart einmal schön war. Ich bin sicher: Am Ende des Jahres ist er der Kulturbande gelungen, seine Musik uns allen zu vergällen – es sei denn, sie ignorieren alles, was sie dieses Jahr zu Mozart hören werden. Falls sie zufällig seine Musik lieben – warum gehen Sie nicht einfach in ein Konzert?
david ramirer meinte am 5. Jan, 12:17:
diejenigen,
die mozart hören wollen, werden ihn dieses jahr auch hören, mit vielen gelegenheiten dazu.
die, die mozart bisher nicht hören wollten (mit welchem guten grund auch immer) werden ihm auch dieses jahr erfolgreich ausweichen können.

ich glaube nicht, dass die "kulturbande" es schafft, irgendwem irgendwas zu vergällen, wenn der nicht ohnehin schon damit nichts zu tun haben will. mir zum beispiel kann mozart schon jetzt gestohlen bleiben (und so wird es auch bleiben). 
Merryl meinte am 6. Jan, 13:39:
Sie erinnern sich an Gespräche mit dem Klassenlehrer? Na aber hui! Das ist doch auch ein wenig sehnsuchtsvolles Rückblicken in eine vergangene Epoche, oder nicht? 
sehpferd antwortete am 8. Jan, 00:58:
Freilich
Es gibt im Leben eines Menschen wohl immer einige Menschen, die man achtet - man könnet auch Vorbilder sagen (ich schreibe demnächst darüber, also bitte ich um Geduld), und unter ihnen gibt es sogar Lehrer. Sehen sie, und dann gibt es jene, die das Gegenteil eines Vorbild sind: Die, von denen man weiß, dass man keinesfalls so werden möchte. Dazu gehörte eben auch jener Klassenlehrer. Und an diesen Dialog erinnere ich mich (wie an fast alle wichtigen Dialoge, die zu Einsichten führten) ganz selbstverständlich. 
dnepr meinte am 6. Jan, 15:10:
ich denke nicht das wir im mozartjahr viel von mozart zu hören bekommen . vielleicht ja von falko „amadeus“ dafür werden wir, besonders die wiener, wahrscheinlich mit mozartkugeln mozartschmierwürsten mozartbier- wein oder -schnaps überflutet werden. 
Sasis meinte am 7. Jan, 21:33:
Was ich zu diesem Beitrag zu sagen hätte
Zuerst einmal, von welcher Kultur sprichst du bitte? Es ist nur selbstverständlich, dass wir in die vergangenen Epochen zurückblicken, mit dieser Musik heutzutage. Besonders die U-Musik lässt etliche Wünsche offen, und sobald man klassische Musik mit ihr vergleicht, findet man heraus, wie primitiv Pop etc. etc. etc. ist.
Außerdem gibt es stetig "neue" klassische Musik... stetig wiederentdeckte Werke, neu interpretierte,... was ist es, das dich an klassischer Musik stört? Oder was ist es, dass dich zu solchen Gedanken veranlasst?

Und ja, ich stimme deinem Klassenlehrer sicher zu. Klassische Musik ist unvergänglich, klassische Musik hat eine lange Geschichte. Klassische Musik ist kulturell wertvoll.
Und wieso hast du es nie mit Mozart versucht, ja wieso? Was ist an Mozart schlecht? Dieses Jahr wird Mozart mehr missbraucht als sonst was, stimmt schon, aber eigentlich denke ich, ist nichts abschreckendes an ihm oder, in diesem Fall: seiner Musik.
Du schreibst doch selbst: Mozart war einmal schön.
Aber ich frage dich: Warum ist er jetzt nicht mehr?
Es ist immer noch was an seinen Werken zu entdecken, muss ja nicht umbedingt die kleine Nachtmusik sein, die man sich von Mozart anhört.
Ich stimme dir desweiteren vollkommen zu, wenn du über das Mozart Jahr klagst. Es ist einfach nur Geldmacherei, zu der eben Mozart hergezogen wird, na ja, was soll man tun... 
sehpferd antwortete am 8. Jan, 00:50:
Dies hoffte ich inständig ...
Ich hoffte inständig, dass es keinen Menschen geben würde, der mir dies entgegen würde.

Sehen Sie, lieber Freund: Die Sache mit dem Klassenlehrer liegt jetzt etwas über 45 Jahre zurück, wenn mich meine trüber werdenden Augen nicht täuschen, und ich maße mir überhaupt nicht an, über die Qualität des Herrn Mozart zu streiten, sonder ich meine, Wort für Wort, genau das, was ich geschrieben habe - freilich erfordert dies die Kunst des Lesen, die neben der Kunst des Hörens eben auch hie und da abhanden gekommen ist.

Sehen Sie, mein Freund, ich gehe ab und zu in Konzerte - sehr gute Konzerte, wie ich sagen kann, denn ich lebe zu einem Teil in Budapest.

Und dort passiert dann etwas Wundersames: Ich will nicht wissen, wie göttlich die Kompositeure waren. Ich will ihre Musik hören, und das ist wirklich alles - mögen sie heißen, wie sie wollen.

Oh, ich vergaß etwas: Von welcher Kultur ich spreche. Gerade schrieb ich einen Artikel über Kulturbanausen: Die halten einen Tisch an sich für einen Tisch, weil sie glauben, dass ein Tisch so auszusehen hat, wie sie meinen, dass ein Tisch aussehen müsste. Sie wissen, was ich damit sagen will? 
Sasis antwortete am 8. Jan, 22:26:
...
Es ist offensichtlich so, dass ich in Ihnen einen Menschen sah, der vielleicht wie ein Erwachsener spricht, aber eigentlich noch ein Jugendlicher ist (da sie von dem Klassenlehrer sprachen). Daher sprach ich Sie mit "du" an, was mir jetzt als unhöflich erscheint, und wofür ich mich entschuldigen muss. Zugleich will ich sagen, dass ich erst 14 bin und daher absolut in Ordnung fände, per-du angesprochen zu werden (da es anders zudem ungewohnt ist).
Natürlich haben Sie nichts direkt gegen Mozart geschrieben, aber Sie haben mehr oder weniger zu verstehen gegeben, dass Sie keine Lust haben, sich mit ihm zu befassen (eben auch wegen des Mozart Jahres). Und diesen Satz: "[...]freilich erfordert dies die Kunst des Lesen, die neben der Kunst des Hörens eben auch hie und da abhanden gekommen ist." fasse ich als eine persönliche Beleidigung auf und er sollte unter dem Niveau eines Menschen ihres Standes liegen, so hoffe ich.
Ich wohne in Wien; somit habe ich vermutlich auch ziemlich gute Möglichkeiten, gute Konzerte zu hören, und stimme Ihnen zu, bei dem, was sie über Komponisten schreiben.

Sie sagten ja, dass das schlecht für uns ist, weil wir unsere Kultur missachten indem wir auf vergangene Epochen zurückblicken.
Ehrlich gesagt, nein, irgendwie versteh ich das nicht ganz, was Sie meinen. Ich würde Sie deshalb bitte, Nachsicht mit mir zu haben und es mir gütig nocheinmal zu erklären. (Eventuell eine Email zu schreiben, falls dieses Gespräch hier nicht mehr interessant für das eigentliche Thema ist).

Mit den freundlichsten Grüßen,
S. (bakaaka@hotmail.com) 
sehpferd antwortete am 8. Jan, 23:28:
Nun
in meinem Alter neigt man dazu, die Dinge nicht mehr ganz so "eng" zu sehen - dies, lieber Freund, ist nur ein Blog und damit ein Sandkorn im Universum - also, nehmen sie es selbst nicht zu ernst.

Der Schriftsteller wünscht sich immer, dass er vollendet schreibt - dies ist, wie Sie richtig erkannt haben, nicht immer möglich. Und obwohl dies so ist, will ein Schriftsteller dem, was er nun sagte, selten etwas hinzufügen - es mag jedener nach seinen Wünschen lesen, interpretieren oder neu verarbeiten.

Nur so viel vielleicht: Mozart (und all die anderen Komponisten, Maler und Dichter) mag Kultur sein oder auch nicht - es kommt drauf an, ob wir die Kultur in uns haben und ob wir, letztlich, in der Lage sind, sie zu entwickeln. Ob wir das mit Einstein, Mozart oder Konrad Zuse, Paul Watzlawick oder vielleicht sogar mit Norbert Wiener oder Sigmund Freud machen, müssen wir selbst entscheiden - dazu kann ich Ihnen auch leider nicht weiter helfen.Es liegt allein bei Ihnen. 
 

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