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Wer war es nun eigentlich, der die Hexenjagd gegen den Baden-Württembergischen Sozialminister Andreas Renner eröffnet hatte? Waren es klammheimliche Verschwörer in der Christenunion? Mitglieder der Oppositionsparteien? Oder waren es letztlich doch die kaum verholenen Empfehlungen einzelner Presseorgane, den Minister so schnell wie möglich zum Rücktritt zu bewegen? Wir wissen es nicht: Hexenjagd eben.

Die „Badische Zeitung“, deren stellvertretender Chefredakteur Thomas Fricker vor einigen Tagen noch die katholische Gutmenschenmeinung verherrlichte, gibt sich nach dem Rücktritt moderat, und Abwiegler Stefan Hupka muss her: „Alleine von Anstandsfragen“ so orakelte er hätten sich die Gegner von Herrn Renner denn wohl doch nicht leiten lassen.

Was bleibt, ist ein „G’schmäckle“, wie es denn der Schwabe wohl ausdrücken würde, oder auch dies: Was Religions- und Meinungsfreiheit bedeutet, bestimmte offenbar mittlerweile eine Minderheit in der Christenunion. Jedenfalls in Baden-Württemberg und hier jedenfalls bei den Aussagen eines Ministers. Vielleicht sollten wir es doch nicht ernst nehmen? Schwabenstreiche? Maultaschen-Connection? Spätzleslogen? Trollingerseilschaften? Oder einfach der unbändige Wille zur Macht, der sich nur am Wahltag orientiert?

Was es auch war – es ist, Pardon, zum Erbrechen.

Gestern war es wieder da, dieses Wort: E-Musik – im Zusammenhang mit Mozart, natürlich? In welchem Zusammenhang sonst würde man das Wort denn überhaupt benutzen? Ein Herr sagte es, Mozart-Kenner wohl. Derselbe Herr beklagte das seiner Ansicht nach mangelnde oder gar fehlende Interesse der jungen Generation an dem, was er als E-Musik etikettierte. „Wird der Vorhang hinter Mozart fallen?“ hörte man ihn, eine große amerikanische Tageszeitung zitieren, werden wir eine Welt (nun wechselte die Bezeichnung) ohne klassische Musik haben?

Eine Welt ohne klassische Musik? Die Kulturpäpste erzittern. Die Zentralverwaltung ewiger Werte erhebt sonor ihre Stimme. Die Kenner lächeln: Volle Konzertsäle, allenthalben, jedenfalls dort, wo ich hinblicke. Sehen sie hin und hören sie hin, falls Sie eine Karte bekommen – es ist gar nicht so einfach – und manchmal ist es auch sehr, sehr teuer.

Ach ja, dieser Mozart, richtig. Der schrieb ja „klassische“ Musik – nur wusste er noch nichts davon – und vielleicht, weil er es nicht wusste, schrieb er keine E-Musik, sondern einfach Musik: Für das gewöhnliche Volk, für die Gebildeten, für den Hof, zum Amüsieren, zum Tanzen, zum Zuhören.

Hören – einfach hören. Genießen, Empfinden, bewegen lassen und für sich entscheiden, was es bedeutet. Das heißt: Musik hören. Haben wir eine Chance? Ja, wenn wir nicht auf die Musiklehrer, Kritiker und den Zeigefinger hebenden Kulturpäpste hören. Ich will, mit Verlaub, nicht wissen, welches Genie in dieser oder jenen Sonate liegt, nicht die vermeintliche Größe und Bedeutung des Violin- oder Klavierkonzert erklärt bekommen. Ich will ins Konzert gehen und es hören – und vielleicht noch sehen, wie die Musikerinnen und Musiker ihr Herzblut geben, wenn sie mit sinnlichem Gesicht die Saiten streichen, ja, sogar wenn sie dumm in der Gegend herumstehen bevor sie einmal „ping“ auf ihrem Triangel machen dürfen.

Musik hat etwas mit der Lust am Hören und auch ein bisschen mit der Lust am Sehen zu tun. Das müssen jene begreifen, die Musik fördern wollen. Alles andere können wir den Leuten überlassen, die CD-Sammlungen anhäufen und ein bisschen Smalltalk über Mozart auf Partys reden können – oder auf Veranstaltungen von E-Musik sprechen.

 

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