anstoss

  sehpferdvs sehpferds magazin für anstöße und anstößiges
rosinentexte_500_x
Nachdem ich mich ja für Stadtblogs stark gemacht hatte, musste ich zweierlei erkennen: Erstens, dass die Idee mit Blogger nicht funktionieren würde und zweitens, dass es recht viele „Möchtergerne“-Anbieter von Stadtblogs gibt – denn als Geschäftsidee haben es eben auch andere entdeckt.

Die Sache soll offenbar so funktionieren wie einst die Kommunen Geocities, Tripod und wie sie alle hießen: Der Provider gibt dem Benutzer kostenlose Möglichkeiten, sich im Web zu äußern, und kassiert dafür die Werbeeinnahmen. Das ist gut und schön, solange das Geschäft fair bleibt. Ein Stadtblog zu führen ist aber bei Städten ab 100.000 Einwohner ein Recherche- und Schreibgeschäft, das mindestens täglich zwei bis drei Stunden kostet. Die hat man als Angestellter oder Selbstständiger normalerweise nicht. Deswegen vernachlässigen die Leute ja auch früher oder später ihre Blogs oder schreiben nur noch Marginalien hinein – mir gehr es derzeit freilich nicht anderes. Der Grund: Ich bin mal wieder in der Kleinstadt im äußersten Südwesten der Republik, kümmere mich um meinen Job und meine Immobilien und bestimmt nicht um das Budapestblog.

Natürlich fällt auch dies auf: Wollen sich Menschen wirklich aus Stadtblogs (und auch anderen Touristenseiten) informieren, wenn dort nur etwas für einheimische Teens oder amerikanische Rucksacktouristen steht? Ich brauche das alles nicht. Ich halte Städte für etwas Lebendiges, weiß, dass ich das Blog (eigentlich) jeden Tag aktualisieren muss – was der Rucksacktourist mit Starrblick auf Bed and Breakfast 1995 über Cork oder Manchester geschrieben hat, interessiert doch nicht wirklich – ich will wissen, was heute in Cork oder Manchester passiert und – ich will es für alle Menschen wissen, nicht nur für Leute unter 30.

Es gibt zwei Wege, Stadtblogs noch zum Erfolg zu führen, aber beide wurden bislang noch nicht nennenswert praktiziert. Die erste wäre, dass sich die Damen und Herren von der örtlichen Zeitung einmal in die Niederungen der Blogs begeben – die nämlich verfügen über die notwendigen Informationen, und die Zweite ist, dass sich ein Unternehmer findet, der Blogger angemessen für Recherchen vor Ort bezahlt – nur dann werden wir wirklich aktuelle Beiträge haben.

Beides ist noch viel zu selten der Fall. Sich einfach hinzustellen und zu sagen: hey, wir machen jetzt in allen Städten Blogs, entspricht jener Arroganz, die ich an Blogbetreibern wie auch an Bloggern so verachte.

Die Idee, eine Stadt lebendig im Web abzubilden, erfordert nämlich dies: Zeit, ein offenes Ohr, Organisationstalent, viel eigene Lesetätigkeit, viele eigene Veranstaltungsbesuche, viel hören, was Touristen und Einheimische auf der Straße sagen. Das Blog ist dabei letztlich nur der Topf, in den alles eingeht. Aber das kann ich derzeit niemandem wirklich klar machen – jedenfalls keinem Blogger oder Blogbetreiber. Als Kopfgeburt ist das Stadtblog offenbar immer eine Fehlgeburt.
 

Add to Technorati FavoritesMy Popularity (by popuri.us)

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma