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So viel kann ich ihnen verraten: Keuschheit ist unheimlich „in“ – als Schlagwort, aber nicht in der Realität. Doch nun will ich etwas weiter ausholen: Drehen wir das Rad der Geschichte mal mindestens 50 Jahre zurück, in die Zeit von Old Conny und Fat Louis - ab da kenne ich mich nämlich etwas genauer aus in der Republik.

Da gab es ihn also, Old Conny, den alten Häuptling der Indianer, der seine vereinigten Trizonesier in eine bessere Zukunft führen sollte: Das hat er auch geschafft. Nur die Sexualmoral, die importierte man aus dem 19. Jahrhundert unter Umgehung der Aufbruchstimmung der Jugend zu Anfang des 20. Jahrhunderts und mit Teils deutlich brauen Rückständen in die Nachkriegszeit. Wer hätte sich nicht noch in den 50ern von einer der weiblichen oder männlichen Geistsnazis sagen lassen müssen, was ein „deutsches Mädel“ oder ein „deutscher Junge“ besser unterlassen sollte?

Am liebsten hätten die Damen und Herren damals gehabt, dass wir uns alle wieder „organisiert“ hätten – nicht in einer Staatsjugend, die gab es im Westen gottlob nicht, aber vielleicht in der Parteijugend? Bei den Pfadfindern? Im der Schreberjugend? Eines war klar. Man wollte die Jugend unter Kontrolle haben.

Man führte die Doppelmoral des Bürgertums fort: Den jungen Mädchen (damals durchaus noch „Backfische“ genannt) und den jungen Männern wurde zwar gleichermaßen auferlegt, keusch in die Ehe zu gehen, doch galt diese Regelung merkwürdigerweise nur für Mädchen. Von Knaben wurde erwartet, „Erfahrungen“ zu haben, wofür neben den üblichen entfernten Tanten und Cousinen auch professionelle Dienstleisterinnen zur Verfügung standen: Immer blieb die nähere Umgebung, die gleiche soziale Umgebung, aber außen vor: Dort taten „es“ die Mädchen nicht.

Die Diskussion „entbrannte“, als die Zeitschriften „BRAVO“ und „TWEN“ die Keuschheit in Frage stellten. Vor allem „TWEN“ war den Moralschützern damals ein Dorn im Auge – mit Schaum vor dem Mund standen die mit Adenauer und der CDU verbündeten Pfaffen und ihre zweite Garnitur in der „Jugendarbeit“ da und versuchten zu retten was zu retten war: Seelen, Moral, Deutschsein, Vaterland und vor allem natürlich die „Reinheit“.

Doch ach – alles Bemühungen waren vergeblich. Die Pille kam und mit ihr brach das Imperium der Keuschheit in wenigen Jahren zusammen, und in den Folgejahrzehnten entwickelten Frauen eigene sexuelle Aktivitäten, die man zuvor nicht einmal Kurtisanen zugetraut hatte – daran änderte im Prinzip auch AIDS nichts – im Gegenteil. Erst durch AIDS kamen viele Leute auf Experimente mit der Haut als dominierende Lustzone, von den vielen Varianten einsamer Vergnügungen gar nicht zu reden – der Markt boomt nach wie vor.

Keusch? Oh, ich will noch einige weitere Artikel darüber schreiben: Über Keuschheitsgeschirre für Männer und Frauen, beispielsweise. Wahrscheinlich werde ich dies ziemlich unkeusch tun.
 

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