anstoss

  sehpferdvs sehpferds magazin für anstöße und anstößiges
rosinentexte_500_x
Ich werde nicht oft mit dem konfrontiert, was meine Landleute, die Deutschen, „Ansprüche“ nennen. – Lediglich einmal, als ich selbst erneut auf Freiersfüßen war, habe ich einige Damen kennen gelernt, die dergleichen hatten – mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit haben sie diese heute auch noch. Wer als Deutscher keine Ansprüche hat, kann offenbar nicht existieren.

Nun aber verkaufe ich gerade zwei Wohnungen. Vermieten wäre nicht schwer: Hier in Südbaden gibt es jede Menge Bedarf. Aber verkaufen? Im dritten Stock? Ohne Lift? Nur eine Loggia, kein Balkon? Fragt man den Deutschen, was er will, so ist es eine Wohnung mit glatten, geraden Wänden. Alles rechte Winkel – nur keine Rundungen, und schon gar kein Stuck. Wohnboxen sozusagen – gerne Beton, notfalls auch Pappe als Zwischenwände. Dachgeschosswohnungen werden gerne mit Pappe geschönt – sieht fast aus wie eine richtige Wand.

Stil? Ach du liebes Bisschen. Bei IKEA-Möbeln ja auch völlig überflüssig. MackIntosh-Inspiriert? Und das 1948? Und in diesem Stil weiter renoviert? Ach ja. Sehen Sie, vor Jahren, waren Wohnküchen der letzte Schrei in Südbaden, vor allem bei Neubauten, und das geht so: Sie kaufen eine schlüsselfertige Neubauwohnung, bei der sie eine Wand eingespart haben und so einen Kombinationsraum bekommen, in dem die Küche – wie könnte es anders sein – erstens dominiert und zweitens die Hässlichkeit der Wohnung bestimmt – und das Ganze als 3-Zimmer-Wohnung auf 65 Quadratmeter.

Ja, und dann kommen die Ansprüche. Teuer bezahlte Ansprüche, wenn Sie mich fragen: Ein Lift mag praktisch sein, aber die Kosten sind enorm, und sie zahlen ihn, ob sie nun im zweiten oder im fünften Obergeschoss wohnen – und je größer die Wohneinheiten, um so teurer werden eigenartigerweise die Verwaltungskosten. Zwei Balkons? Völlig nutzlos. Eine Loggia ist wesentlich besser verwendbar als ein Balkon – aber zwei von drei Wohnungskäufern wollen einen Balkon und nichts anderes.

So anspruchsvoll sie sind, so gedankenlos sind sie auch, die Wohnungskäufer. Die Stadtwohnung ist zwar vielleicht etwas lauter, aber dafür zentral. Die Leute, die hier die Hügelchen bebaut haben, wissen, wovon ich rede: Kein Bäcker, kein Metzger, kein Arzt, kein Apotheker – vom Supermarkt ganz zu schweigen – und zur Bahnstation beträgt der Fußweg 30 Minuten. Wer Pech hat, der besichtigt ein Haus am Vormittag – und bemerkt erst nach dem Kauf, dass nur halbtags die Sonne scheint – dann verschwindet sie hinter dem Hügelchen.

Wo meine Wohnung ist? Genau zwischen der Innenstadt und der Schweizer Grenze. Sie ist ein Juwel der Baukunst um 1948 (wo die Baukunst ansonsten nicht gerade in Blüte war, wie Sie sich denken können) und liegt heute nur 2 Minuten von der S-Bahn-Station nach Basel – und ginge ich nicht demnächst nach Budapest – ich würde sie niemals verkaufen.
 

Add to Technorati FavoritesMy Popularity (by popuri.us)

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma