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Kein Durchgang - aha!

keindurchgang

Wohin soll ich nun bitte gehen?

keindurchgan1

Liebe Yester,

ich bin, wie immer beglückt aber auch verwundert, dann angesprochen zu werden, wenn ich gar nicht da bin. Nun, ich schreibe zwar selbst keine Manuskripte für Telefondamen, keine Kontaktanzeigentexte für gut getarnte Huren in Anzeigenforen, und nicht einmal glühende Liebesbriefe an Damen, die sonst niemals solche Briefe bekommen würden. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich, würde ich dies tun, ein Echtheitszertifikat online bereitstellen könnte. "Gefühle sind immer echt" würde dann kreisförmig um ein Emblem aus fünf verschlungenen Händen stehen, die fünf Sinne repräsentierend. (Ich muss daran denken, schon morgen den Gebrauchsmusterschutz anzumelden).

Die eigenen Emotionen sind immer echt, sagen sie. Dem stimme ich zu, soweit es Rosen betrifft, die lange duften oder Dornen, die sich fühlbar in die Haut bohren – und alles, was Sie jetzt mit Duft, Haut, Lust und Schmerz assoziieren könnten. Von Liebe will ich lieber nicht reden - das ist mir zu privat. Der verbleibende Rest löst schnell einen Anflug von Gefühlen aus, so, als ob einem eben die Straßenbahn davongefahren wäre – aber sonst? Man kann man mich schnell reizen, weil ich schnell eine Erwiderung schreiben kann. Könnte ich es nicht, würde ich also Stunden oder Tage über eine Replik nachdenken, so würde ich es bleiben lassen – und mir denken, was ich hier nicht schreiben sollte: „Das Pack kann mir doch gestohlen bleiben“.

Beim Zweifel muss ich entgegen, dass ich einige Jahre lang Berufszweifler war. Ich musste die Werke anderer so lange traktieren, bis sicher war, dass wenigstens die schlimmsten Wanzen in ihnen den sicheren Tod erlitten – sie können also sicher sein, dass bei mir Zweifel zum Alltag gehört – nicht umsonst recherchiere ich auch hier manches nach – und bei meinen eigenen Artikeln betriebe ich in der Regel eine so gründliche Recherche, dass schon mancher Redakteur blass wurde. Ich muss dennoch hier loswerden, dass ich im realen Leben einen recht netten Überblick habe und nicht sehr zweifele, sondern vertraue – das spart einem manchmal viel Arbeit und bringt allerlei Gewinn gratis ins Haus.

Sie werden verstehen, Frau Yester, dass ich das Thema der Orgasmen, wenngleich es ein sehr Begeisterndes ist, nicht noch breiter trete, als dies ohnehin schon der Fall ist. Die Profis unter den Telefondamen, die nicht billigen Manuskripten für die große Lutsch- oder Dominanummer folgen, haben ja alle ihren eigenen Stil – ich habe die Möglichkeit, dies gelegentlich als Beobachter anzusehen – und sie verstehen es, dabei die richtigen Auslöser zu treffen. Wie verbreitet privater Telefonsex ist, vermag ich nicht zu sagen – immerhin bekam ich aber vor einigen Jahren einen Anruf dieser Art, in dem eine mir zwar bekannte, aber nicht sehr geläufige Dame verkündete, sie habe gerade ihre Hand „da, wo du dir denken kannst“ und um erlösende Worte bat. Ich gestehe, sie nicht gefunden zu haben.

Zum Schluss will ich Ihnen noch sagen, dass ich nicht genau weiß, wie ich zu der Ehre kam, so viele Zeilen in ihrem Magazin zu füllen, vermute aber, dass es nicht dieser kleine Wortsalat allein war, der Sie veranlasste.

In diesem Sinne wünscht Ihnen einen lustvollen Tag

Ihr Sehpferd

Das wöchentliche Geblubber aus den Algen – meist sonntags

Heute Morgen gingen die Menschen auf der Fahrbahn der Hauptstraße, um ihre Brötchen zu kaufen – die Gehwege waren wegen der Schneemassen unpassierbar. Als unerwünschter Nebeneffekt zeigte sich, dass gestern einige Wohnungsinteressenten absagten – eingeschneit. Allerdings hatte ich auch einige sehr interessante Verkaufsgespräche, und dieses Mal bin ich zuversichtlich, meine Wohnungen auch wirklich zu verkaufen – „verkauft“ waren sie ja schon zwei Mal im Sinne von „fest zugesagt“ – nur: Diese Leute hatten ihre Rechnung nicht mit der Bank gemacht. Schade. Es war ein junges Paar darunter, denen ich das Juwel, meine 3-Zimmer-Wohnung, sehr gerne verkauft hätte.

Inzwischen scheint die Sonne, die Temperaturen steigen auf über acht Grad, und nachdem zwei Drittel meiner Fernsehschüssel aufgetaut war, konnte ich auch wieder Astra-Programme empfangen, und nun auch wieder Hotbird, währen mein Auto immer noch ein Schneemonument bildet – gemeinsam mit dem dahinter befindlichen Strauch, eine Einheit, sozusagen. Aber ich kann ein paar Tage ohne Auto leben – dann fahre ich eben mit Bus und Bahn.

In den letzten Tagen habe ich über ganz andere Dinge nachgedacht: Gestern war es die sogenannte „soziale Kälte“. Ein Schlagwort. Man würde ja so gerne den Staat dafür verantwortlich machen - und die Linkspartei kocht darauf ja auch ihr rotes Süppchen. Aber in Wahrheit sind wir es, die soziale Kälte verbreiten, nicht der Staat.

Ähnlich verhält es sich mit der 12-jährigen Mutter. Niemand hat hingeschaut. Alle haben vorbeigeschaut – und wo sind denn nun die Gutmenschen, die jetzt ihre Hilfe anbieten? Vielleicht sehen wir sie ja wieder – bei einer neuen Initiative gegen Abtreibungen? Ach, wie billig sind Worte doch für diese so genannten „Gutmenschen“ – sie kosten nicht einmal Centbeträge.

Ich höre das Sozialgelaber im Netz sehr wohl. Die Menschen, die solche Worte in den Mund nehmen, verdrängen erfolgreich, dass „soziales Handeln“ auch „soziale Verantwortung“ einschließt – und so sind die Soziallaberer im Netz in nichts besser als die Abtreibungsgegner – sie spielen mit billigen Worthülsen herum und ignorieren den Menschen. Dass andere dies auch tun, ist keine Entschuldigung.

In meiner Gegend ist nach dem Schnee noch allerlei gefällig – zum Beispiel, dass hier immer noch Fastnacht ist – heute in Weil am Rhein und ab der Nacht zum Montag dann in der Stadt Basel. Heute Nachmittag werde ich mal durch den Schnee stapfen und sehen, was die feuchten Schneemassen hier alles angerichtet haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Sonntag.

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Merkwürdig – kaum eine Frau glaubt, dass Telefonsex befriedigender Sex ist. Aber dass Webgefühle ehrliche Gefühle sind – das glauben viele.

Was mich an meinen Landsleuten stört, sin die vorschnellen Urteile. Besonders die Web-Generation scheint sich da ganz festgelegt zu haben. Erst urteilen – dann informieren – dann eingestehen, dass man gar nichts weiß – wenn es dann noch geht. Wer, wie ich, häufig kommentiert, weiß, dass man selber nicht davon frei ist.

Im Internet kommt Schein und sein sehr schnell zusammen. Gestern war es ein Lamento um ein gebrochenes Herz. Abgesehen davon, dass mir allein der Begriff nicht gefällt (ich bin Herzpatient, was manches erklären mag), ist es natürlich nur eine dichterische Metapher – und hat mit Gefühlen eigentlich gar nichts zu tun. Was man wirklich fühlt, wenn man mit dem vorgeblich gebrochenem Herzen daniederliegt, mag der beschreiben, der es gerade empfindet – und wenn er ehrlich ist, wird keinen solchen Schachsinn sagen wie „er hat mir das Herz gebrochen" – es sei denn, man wolle bei ein paar Pseudofreundinnen Tränen loswerden. Wer wirklich leidet, wird, sagen, was er fühlt, wie er es fühlt und welchen Schmerz es ihm bereitet.

Der Dame, die das vom Herzen so dahersagte, hatte ernstliche Schwierigkeiten – da war in Wahrheit eine Trennung zu bearbeiten – und da war eine Blockade, sich wirklich an sich selbst heranzutrauen. Sie bewegte sich offensichtlich in dem Status, der ein Entrinnen fast unmöglich macht: „Meine Trauer und meinen Schmerz kenne ich, und das alles drückt mir auf die Seele, aber all dies ist wenigstens bekannt – was sagt ihr? Ich soll es ändern? Dann müsste ich doch etwas Unbekanntes tun – könnt ihr mir wirklich garantieren, dass es dann besser wird?“

Ich hatte einen längeren Dialog mit der Dame, soweit man Interndialoge als solche bezeichnen kann, und fand wenigsten einige Grundzüge des Problems hinaus – und siehe da, die Dame suchte tatsächlich, wenn auch erst in Ansätzen, nach Lösungen. Vorläufig war die Devise allerdings noch: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Es wurde auch Zeit, dass sie ihre Probleme anging. Trennungsschmerzen solch heftiger Art sind nach 18 Monaten der Trennung eher ungewöhnlich. Ich denke, ich konnte ihr wenig helfen. Wer wirklich helfen kann, ist ein selbstloser Zuhörer vor Ort – es muss kein Psychotherapeut sein. Bei dieser Gelegenheit mag ich sagen, dass ich – trotz einiger Vorbehalte – immer noch besser finde, man geht zu einer Gruppe von Emotions Anonymous als gar nichts zu tun.

Um auf die Vorurteile zurückzukommen: Die Gemeinschaft (es war kein Psychotreffen) wollte nur Gefühle zulassen – keine Lösungen. Sehen Sie, und das hat mich zu dem gebracht, worüber ich heute schreibe: „Gefühle“ gibt es im Web im Dutzend billiger.Man kann über sie schwadronieren, bis die Augenlieder herunterfallen, notfalls per cut-and-paste. Man muss sich ja niemals, wirklich niemals verantwortlich zeigen. Mal auf der Durchreise ein paar Gefühlsbrocken hinterlassen. Morgen geht man in den nächsten Chat, das nächste Forum, das nächste Blog, Damen trösten. Kostet nichts. Ist, wie ins Kino gehen. Und notfalls eben: Cut-and-paste.

Eine Nachtdiskussion im Web geführt – im Sinne der angeblich sozialen Software – und abermals erkannt, wie erbärmlich doch dieses Web ist – nur, wer einem anderen in die Augen schauen kann, wird jemals die Probleme der Person erkennen – und nicht spruchtriefend über sie hinweggehen.

Ob mein Beitrag schließlich half? Ich glaube, nicht sehr. Aber er war immer noch effektiver als diese hilflose Gefühlsduselei, die man den Strauchelnden entgegenzubringen gewohnt ist.

 

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