anstoss

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Was sind die Vorteile eines Bordellbesuchs im Gegensatz zum wirklichen Leben? Es gibt Sex, ohne dass man Pralinen und Blumen mitbringen muss. Auf diese eingängige Formel brachte es jedenfalls ein Bordellbesitzer in Ballarat (Australien).

Die Gemeinde ist davon freilich weniger entzückt: Sie ordnete an, dass der Bordellbesitzer diese Art von Werbung entfernt. Ich wusste es doch immer: Wenn in einer Stadt ein Bordell ist und keiner sieht es, dann gibt es in der Stadt kein Bordell. Es sei denn, es gäbe eines.

Ich bemerkte ihn sofort, weil er so unauffällig sein wollte: ein Rabbi vielleicht, möglicherweise auch nur ein frommer, konservativer Jude. Hinter einer Säule stehend, beschäftigte er sich lebhaft mit einem Buch. Manchmal wollte es scheinen, als beschäftige sich das Buch mit ihm, dann wieder allerdings wollten beide nichts voneinander wissen: Der schwarzgekleidete Herr sah hinaus, redete lebhaft zu sich selbst, um bald wieder innezuhalten und in eine Art Trance zu versinken.

Das Schicksal wollte, dass die Maschine Budapest-Zürich nicht ganz voll war, und so konnte ich gar nicht anders, als den Rabbi (wenn er denn einer war) zu beobachten, der abermals einen heftigen Anlauf nahm, um in sein Buch hineinzuspringen. Wieder schien es so, als debattiere er heftig mit dem Buch, zuckte mit den Armen, als wolle er das Buch durch Gestikulieren von seiner offenbar abweichenden Meinung überzeugen, griff sich dann wieder an die Schläfen oder strich seinen Bart – und fiel in den Pausen dazwischen wieder in tiefes Nachdenken. Ein wenig schien ihn bisweilen Mr. Bean zu irritieren, denn nach einer erneuten heftigen Attacke auf sein Buch, dem ein noch heftigeres halb innerliches Selbstgespräch folgte, blieben seine Blicke dann doch am Monitor hängen – zu lange, um nicht fasziniert zu sein, aber zu kurz, um sich wirklich ablenken zu lassen.

Ich verließ das Flugzeug nach der Landung schnell, um noch meinen Anschlusszug zu bekommen.

Doch später dann habe ich noch lange an den jüdischen Herrn gedacht – an seinen Kampf mit dem Buch, an seine Versonnenheit und letztendlich daran, dass ich selbst schon lange kein Buch mehr gelesen hatte, das mit mir zu diskutieren anfing.

 

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